Viele kostenpflichtige Zusatzleistungen beim Arzt sind überflüssig Foto: dpa

Nach aktuellen Studien ist Baden-Württemberg eine IGeL-Hochburg: Nirgendwo sonst zahlen Versicherte häufiger für Behandlungen, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden.

Stuttgart/Berlin - Die Schwaben sind nicht geizig, wenn es um ihre Gesundheit geht: Sie gehen zum Arzt und zahlen sogar für Untersuchungen, die ihnen die Krankenkasse nicht erstattet: Krebsfrüherkennungen beispielsweise, Zahnreinigungen und Angebote zur Früherkennung von Grünem Star, einem Augenleiden. 80 Prozent der Patienten aus Baden-Württemberg, denen solche Individuellen Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, angeboten werden, nehmen diese auch in Anspruch, heißt es in einer aktuellen Studie der Techniker-Krankenkasse (TK) im Rahmen ihres diesjährigen TK-Meinungspuls. Zum Vergleich: Bundesweit sind es 75 Prozent, die sich solchen Behandlungen unterziehen, die nicht oder nur in medizinisch begründeten Fällen zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Das Kostenspektrum reicht von unter zehn bis zu mehreren 100 Euro.

Tatsächlich konnten mit Hilfe der IGeL die niedergelassenen Ärzte in den vergangenen Jahren ihre Erträge abseits der Kassenleistungen kräftig steigern: Nach Angaben des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) haben Ärzte im Jahr 2012 rund 18,2 Millionen individuelle Leistungen erbracht und dafür rund 1,3 Milliarden Euro in Rechnung gestellt.

Undurchsichtig jedoch bleibt, welche medizinischen Leistungen davon tatsächlich von Nutzen sind: Einerseits zählen durchaus sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen wie etwa der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs dazu. Es gibt allerdings auch viele fragwürdige Leistungen, deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich belegt ist, wie eine Ozontherapie und Ultraviolettbestrahlung des Blutes, die häufig zur Stärkung der Immunabwehr und bei Durchblutungsstörungen angeboten werden.

Die Bundesärztekammer weist zwar die niedergelassenen Ärzte darauf hin, dass „nur ein seriöses Anbieten Individueller Gesundheitsleistungen das für den Erfolg jeder Heilbehandlung unverzichtbare Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten erhalten“ könne. Das Berufsrecht verbiete es, „diagnostische oder therapeutische Methoden unter missbräuchlicher Ausnutzung des Vertrauens, der Unwissenheit, der Leichtgläubigkeit oder der Hilflosigkeit von Patientinnen und Patienten anzuwenden“.

Nimmt ein Patient beim Arzt also eine Selbstzahler-Behandlung in Anspruch, muss der Mediziner vorher die Kosten schriftlich auflisten und hinterher eine Rechnung vorlegen. Nach Beobachtung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen passiert das aber häufig nicht. Auch über die Risiken der IGeL klären Ärzte oft nicht gut genug auf.

Verbraucherschützer raten daher zur Vorsicht. Patienten sollten sich genau informieren, bevor sie die Selbstzahlerleistungen in Anspruch nehmen, sagt Claudia Lange von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Um eine Entscheidung treffen zu können, muss der Patient beraten werden. Nicht selten artet die Beratung jedoch in eine Art Verkaufsgespräch aus. Häufig fühlen sich Patienten sogar regelrecht unter Druck gesetzt. In einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung kam 2013 heraus, dass sich fast jeder fünfte Versicherte (17 Prozent) von seinem behandelnden Arzt bedrängt fühlt, die Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen.

Dass ein Arzt bei Ablehnung einer Zusatzleistung die Behandlung verweigert, ist unzulässig, sagt Claudia Lange von der Verbraucherzentrale. In solchen Fällen sollten sich Patienten umgehend bei der zuständigen Ärztekammer und ihrer Krankenkasse beschweren – sowie auf dem seit September eigens dafür eingerichteten Portal www.igel-aerger.de. Hier wollen die Verbraucherschützer Beschwerden sammeln und Erfahrungen über die Werbung in Arztpraxen zusammentragen. Finanziert wird das Angebot auch vom Bundesverbraucherschutzministerium.

Den medizinischen Nutzen bewerten die Verbraucherschützer nicht, dafür steht unter anderem das Portal igel-monitor.de des GKV-Spitzenverbands zur Verfügung. Auf dem Onlineportal werden die einzelnen Gesundheitsleistungen anhand wissenschaftlicher Quellen bewertet, allgemein verständlich erklärt und aktualisiert.

Darunter sind auch viele Behandlungen, die von den Krankenkassen nicht finanziert werden – obwohl viele Hinweise auf einen Nutzen vorliegen. Die Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz etwa wurde erst Ende September mit „tendenziell positiv“ bewertet. Werden Schallwellen mit hoher Energie bei diesem Leiden eingesetzt, dann hat etwa jeder zweite Patient nach einigen Wochen deutlich weniger Schmerzen. Noch muss er dafür allerdings pro Sitzung zwischen 80 und mehreren 100 Euro zahlen.

Die Chancen, dass die Behandlung auf Empfehlung des Medizinischen Dienstes irgendwann zur Kassenleistung wird, stehen jedoch nicht schlecht: Viele Kassen haben ihr Leistungsspektrum erweitert, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen, und übernehmen teils Akupunktur oder homöopathische Behandlungen. Auch Privatpatienten sollten mit ihrer Versicherung sprechen, bevor sie Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Denn private Krankenversicherungen übernehmen zwar viele IGeL, oft aber nur nach vorheriger Absprache.