Essen ist Privatsache – doch immer mehr Gesundheitsverbände sehen das anders. Sie fordern, kalorienreiches Essen höher zu besteuern und einen Mindestpreis für Fleisch einzuführen Foto: dpa

Mit interaktiver Grafik - Gesundheitsverbände wollen das Angebot an Lebensmitteln strenger regulieren, etwa mit Steuern auf Schokolade und Limonade. Sie fordern einen Mindestpreis für Fleisch. Ernährungsexperten bezweifeln, dass die Menschen dadurch gesünder leben.

Hohenheim/Berlin - Geiz macht dick. Wer aus Sparsamkeit zu großen, weil vermeintlich günstigen Packungen mit Chips, Popcorn oder anderen Leckereien greift, bezahlt dies mit zusätzlichen Kilos auf der Waage. So lautet das Fazit einer US-amerikanischen Studie der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Demnach wird der Inhalt von XXL-Packungen genauso schnell gegessen wie der von kleineren Tüten. Nur dass man bei den Großpackungen deutlich mehr Kalorien zu sich nimmt.

Viele Gesundheitsexperten sind davon überzeugt, dass sich die Menschen über Produktpreise zu einer gesünderen Lebensweise verleiten lassen. Beispielsweise indem man Steuern auf Fetthaltiges und Süßes erhebt, wie jüngst auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bei ihrer Jahrestagung forderte. XXL-Packungen von Salzgebäck und Schokolade würden demnach teurer.

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In eine ähnliche Richtung zielt ein Vorschlag der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz: Vergangene Woche regten die Mediziner einen Mindestpreis für Fleisch an. Das würde Tier und Mensch guttun. Das Fleisch würde teurer, den Mehrerlös könnte man in bessere Tierschutzmaßnahmen auf den Höfen investieren. Und die Verbraucher würden aufgrund der Preissteigerung insgesamt mutmaßlich weniger Fleisch und Wurst essen, wie auch in der Ernährungspyramide empfohlen. Steigt der Preis, sinkt die Nachfrage, so die Hoffnung der Gesundheitsorganisationen. Es wäre der Umkehrschluss des Experiments der US-Forscher.

In Frankreich gibt es eine Cola-Steuer

Im Ausland hat man schon versucht, den Spieß umzudrehen. Als erstes Land weltweit hatte Dänemark 2011 eine Steuer auf Fette in Lebensmitteln eingeführt. In Frankreich gibt es seit 2012 eine sogenannte Cola-Steuer für Getränke, die mit Zucker angereichert sind. Und in Mexiko führte die Regierung 2013 eine Strafsteuer für Fast-Food-Gerichte, Süßigkeiten und Softdrinks ein, die mehr als 275 Kilokalorien pro 100 Gramm enthalten.

In Deutschland ziert sich die Politik noch, den Bürgern drastisch ins Essen hineinzuregieren, obwohl der jüngste Ernährungsbericht der Bundesregierung besagt, dass 67 Prozent der Männer und fast 53 Prozent der Frauen übergewichtig sind – mit hohen gesellschaftlichen Folgekosten. Weil auch schon 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zu viele Pfunde auf die Waage bringen, forderten Gesundheitspolitiker der Koalition ein entschlossenes Eingreifen des Staats: „Eine Gesundheitssteuer auf besonders fetthaltige und zuckerreiche Nahrungsmittel wie Chips, Fast Food und extrem kalorienreiche Süßigkeiten würde das Ernährungsbewusstsein vieler Menschen mit Übergewicht schärfen und könnte so eine gesundheitspolitisch wünschenswerte Veränderung der Essgewohnheiten bewirken“, sagte Edgar Franke (SPD), Mitglied im Bundesgesundheitsausschuss.

Steigende Lebensmittelpreise sind schwieriger durchzusetzen als Tabaksteuern

Doch die Bundesregierung bleibt zögerlich. Auf Anfrage heißt es beim Ernährungsministerium lediglich: „Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote und Strafsteuern lehnen wir ab.“

Abgesehen davon, dass der starke Konkurrenzdruck im Einzelhandel eher das Gegenteil bewirkt: „Steigende Lebensmittelpreise sind eher unpopulär“, sagt Tilman Becker, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre der Universität Hohenheim. Das weiß auch die Politik. Nach Erfahrung des Experten Becker müsste die Zusatzsteuer den Preis deutlich erhöhen, damit die Nachfrage sinkt. Allerdings gibt es hierzulande kaum langfristige Erfahrungen oder gar Studien, die belegen, dass Steuern oder Mindestpreise die Menschen zu gesünderem Essverhalten anregen. In Dänemark zeigten die Politiker keine Geduld – und schafften die Steuer wieder ab. Auch Becker warnt vor Automatismen: Höhere Preise bedeuten nicht automatisch weniger Nachfrage, geschweige denn mehr Tierschutz.

Befürworter solcher Maßnahmen verweisen in solchen Diskussionen gern auf die Entwicklung der Raucherzahlen. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat sich der Anteil jugendlicher Raucher binnen zehn Jahren halbiert. Doch Ökonomen wie Tilman Becker bezweifeln, dass dies allein auf die Preissteigerung der Zigaretten zurückzuführen ist. „Es ist eher so, dass gesellschaftliche Strömungen dazu führten, dass Rauchen immer mehr an Bedeutung verloren hat“, sagt Becker. Nichtrauchen sei zu einer „gesellschaftlichen Norm“ geworden. Die Politik habe diesen Trend erkannt und mit Rauchverboten, Beschränkung der Werbung sowie Preissteigerungen darauf reagiert.

Selbst wenn die Menschen weniger fettreiche und zuckerreiche Lebensmittel kaufen würden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie sich gesünder ernähren. „Es kommt drauf an, was sie stattdessen essen“, sagt Hans Konrad Biesalski, Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Uni Hohenheim. Reis oder Nudeln beispielsweise enthalten sehr viel Kohlenhydrate, aber kaum Nährstoffe. Ein Zuviel kann sich ebenfalls ungünstig auf das Gewicht auswirken. Worauf sollte also eine Steuer für ungesunde Lebensmittel erhoben werden, fragt Biesalski. „Genau genommen gibt es keine ungesunden Lebensmittel, es gibt nur einen falschen Umgang mit Lebensmitteln.“

Die Politik ist oft nicht bereit, für gesunde Ernährung der Bürger zu zahlen

Es sind nicht einzelne Lebensmittel, die wachsende Fettpolster bewirken. Wer etwas erreichen will, so die Meinung der Hohenheimer Wissenschaftler, muss an diversen Stellschrauben drehen – und zwar möglichst früh, denn Ernährungsgewohnheiten entstehen schon von klein auf. „Wer als Kind gewohnt ist, dass Vollkornbrot, Obst und Gemüse zur normalen Ernährung dazu gehören, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch später gesund ernähren“, so Biesalski.

Dazu müssten diese Lebensmittel besser verfügbar sein – vor allem in den Schulen. Festgelegte Standards für Schulverpflegungen gibt es nicht. Dabei hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung längst Empfehlungen erarbeitet. Doch um diese zu erfüllen, können Schulessen nicht mehr für drei bis vier Euro angeboten werden – es sei denn, der Staat greift mit hohen Subventionen ein. Aber die Politik ist oft nicht bereit, für die gesunde Ernährung der Bürger zu zahlen. Kostenloses Obst im Klassenraum fördert nachweislich den Früchteverzehr von Kindern. Doch neben Baden-Württemberg nehmen nur sechs weitere Bundesländer am Schulobstprogramm der EU teil, auch weil sich die Länder an den Kosten beteiligen müssen. Gerade bei solchen Projekten, so Biesalski, wäre ein wenig staatliche Einmischung wirklich wünschenswert.

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