Ein Mädchen streckt in der fünften Klasse: Mädchen funktionieren in der Schule in der Regel besser als Jungs. Vielleicht liegt es am Unterricht? Foto: dpa

Ist Schule nur noch was für Mädchen? Nein, so schlimm ist es nicht. Fakt ist aber: Einigen Jungs treibt der Unterricht seit vielen Jahren die Lust auf Bildung aus. Die Politik wirkt ratlos.

Stuttgart - „Der Abbau von geschlechtsspezifischen Benachteiligungen hat für die Landesregierung eine hohe Priorität“, sagt die Sprecherin des Stuttgarter Kultusministeriums. Was den Rückstand der Jungs gegenüber den Mädchen im Schulsystem angeht, ist das Land allerdings in den vergangenen Jahren nicht vorangekommen.

Später dran

Jungs seien später dran, heißt es. Viele seien im Vergleich zu den Mädchen „entwicklungsverzögert“. Spürbar wird dies bereits bei der Einschulung: Bei fast jedem dritten Jungen im Land wird laut dem Bildungsbericht des Landes bei der Schuleingangsuntersuchung ein intensiver Sprachförderbedarf diagnostiziert – bei den Mädchen passiert dies nur bei jedem vierten. 12 Prozent der Jungs werden von der Einschulung zurückgestellt, obwohl sie das entsprechende Alter erreicht haben. Bei den Mädchen sind es nur sieben Prozent.

Schlechtere Noten

Obwohl es mehr männliche Schüler als weibliche gibt, sind Mädchen mit rund 52 Prozent an den Gymnasien in der Überzahl. Mehr Jungs gibt es dagegen auf Haupt- Sonder- und Gemeinschaftsschulen. Der Anteil eines Jahrgangs, der Abitur macht, ist zwar bei beiden Geschlechtern in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Der Vorsprung der Mädchen hat sich dabei allerdings immer mehr vergrößert.

Mehr Sitzenbleiber

An Realschulen und Gymnasien bleiben Jungs doppelt so häufig sitzen wie Mädchen. Dass die damalige grün-rote Landesregierung 2012 die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung abgeschafft hat, sorgte in den letzten Jahren für einen Anstieg der Zahlen. Michael Schirmer, Referent bei der Landesarbeitsgemeinsschaft (LAG) Jungenarbeit, spricht in dem Zusammenhang von „Beschämung“ und „Demütigung“. Gerade Jungs mit Migrationshintergrund hätten nicht selten ein althergebrachtes Rollenbild, demzufolge sie tolle Kerle zu sein haben und den Mädchen eigentlich überlegen sein müssten. „Da ist es noch mal dramatischer, in der Schule zu versagen“, sagt er.

Weniger männliche Lehrer

„Wir müssen dafür sorgen, dass für Jungen und Mädchen gleichermaßen gute Lernbedingungen bestehen“, sagt die Abgeordnete Sabine Kurtz, die in der CDU-Landtagsfraktion für frühkindliche Bildung zuständig ist. „Dazu zählt für mich, dass bereits in Kindergarten und Grundschule wieder mehr männliche Lehrer als Vorbilder für die Schüler gewonnen werden.“ Solche Forderungen gibt es seit vielen Jahren. Die Politik hat es allerdings nicht geschafft, den Beruf des Erziehers oder Lehrers für Männer attraktiver zu machen – ganz im Gegenteil. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Frauenanteil an Grund- und Hauptschulen von 69 auf 79 Prozent erhöht, bei den Gymnasien von 43 auf 58 Prozent. Laut Kultusministerium muss ein hoher Anteil weiblicher Lehrer allerdings für die Jungs nicht automatisch ein Nachteil sein: „Studien, die belegen, dass das Geschlecht einer Lehrkraft die Leistung von Schülerinnen und Schülern wesentlich beeinflusst, sind nicht bekannt“, so die Sprecherin des Ministeriums.

Ohne Abschluss

Rund sechs Prozent der Jungs verlassen im Land ohne einen ordentlichen Abschluss die Schule, bei den Mädchen sind es vier Prozent. Allerdings: Eben weil Jungs im Schnitt in ihrer Entwicklung den Mädchen hinterher sind, holen sie später nicht selten den Schulabschluss nach oder qualifizieren sich weiter über den zweiten Bildungsweg. Unterm Strich wachen einige trotzdem zu spät auf. Auch wegen geringerer Bildungsabschlüsse ist die Arbeitslosigkeit bei Männern höher: In Stuttgart zum Beispiel waren im September dieses Jahres 9440 Männer arbeitslos gemeldet – und 7718 Frauen.

Schlechte Aussichten

Laut Michael Schirmer von der LAG Jungenarbeit sind die größten Schulprobleme vor allem bei Jungs aus bildungsfernen Familien zu finden – oft mit Migrationshintergrund. Da unter den vielen Flüchtlingen, die zuletzt nach Deutschland gekommen sind, besonders viele junge Männer sind, dürfte das Problem eher noch wachsen. Abhilfe ist laut Schirmer nicht in Sicht. „Möglicherweise hat die Politik das Problem inzwischen erkannt“, sagt er. „Aber in der Umsetzung ist die Politik doch sehr schwerfällig.“