Die Heusteigschule in der Heusteigstraße gilt als architektonisches Kleinod. Foto: Michael Steinert

Die Heusteigschule erweist sich bei der Besichtigung als architekturhistorisches Kleinod. Selbst frühere Schüler sind überrascht.

S-Süd - Kann ein Schulgebäude ästhetische Wertvorstellungen formen? Kann es sogar wirken wie ein Lehrer? Dieser Frage ist am Samstag die Geschichtswerkstatt Süd am Beispiel der Heusteigschule nachgegangen. Bei ihrer Führung benutzte die Architekturhistorikerin Kerstin Renz einen pädagogischen Trick: Sie führte die Schar interessierter Bürger, darunter auch ehemalige Heusteigschüler, zunächst zur Römerschule.

Und so öffnete Kerstin Renz auch interessierten Laien den Blick für die Unterschiedlichkeit der Baukonzepte und ihrer Wirkungen. Direkt an der Hauptstätter Straße, schon damals wichtige Verkehrsachse, die Römerschule, 1886 als kompakter Ziegelbau einigermaßen lieblos vom Hochbauamt für die Volksschüler erdacht und erbaut, mit einer aus Standardornamenten bestückten, vielgestaltigen und durchaus repräsentativen Schaufassade zur Hauptstraße hin, und einem für damalige Zeiten ungewöhnlich großen Schulhof.

Eine Schule direkt neben einem Friedhof

Für die Heusteigschule hingegen blieb nur ein schmaler Streifen zwischen Friedhof, Heusteigstraße und der gerade wachsenden Wohnbebauung. Der Architekt Theodor Fischer habe große Mühe gehabt, seine Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass der Standort direkt neben einem Friedhof ein guter Ort für die Schulkinder sei, berichtete Renz. „Ha“, meint eine ältere Dame, „das ist Anfang und Ende“. Und habe doch Logik.

Von 1904 bis 1906 durfte Fischer also die zweite Bürgerschule Stuttgarts bauen, in die die Handwerker und der bürgerliche Mittelstand ihre Buben in Uniform – Matrosenanzug und Hut – schickten. Mädchen mussten den Berg hinauf, in die Lerchenrainschule. Fischer habe es verstanden, das enorme Raumprogramm als dynamischen Baukörper ideenreich auf dem schmalen Grund zu gestalten, so Renz. „Das war war eine Pioniertat, wegweisend gebaut.“

Ein paar Finessen bewirken, dass Kinder sich wohlfühlen

Die Architekturhistorikerin weist auf die Finessen hin: etwa darauf, dass der Baukörper nicht parallel zur Straße gebaut, sondern leicht aus der Achse geschoben sei. Das nimmt ihm nicht nur die Wucht, sondern beschert ihm, und somit den Schülern, einen „kleinen, aber feinen Vorplatz“. Überhaupt schon das Hineingehen sei etwas Besonderes: „Wir betreten eine Schule, als wäre es Omas Vorgarten“, sagt Renz. Durch eine Art kleine niedrige Gartentür. Der Hof: umsäumt von einem Mäuerle, so niedrig, dass kleine Buben drübergucken können, zur Straße hin. „Ein Ort, an dem sich eine gewisse Geborgenheit einstellt.“

Dieses Element zieht sich durch das ganze Schulhaus. Die Lichtgebung gibt intuitiv Orientierung. Der rote Terrakottaboden, das auberginefarbene Treppengeländer aus Holz und die grünen Wände wirken heimelig, dazu auf jedem Stockwerk individuell gestaltete Ornamente auf Böden und Decken – „eine sehr nutzerbezogene Gestaltung“, sagt Kerstin Renz. Und wo, bitteschön, gibt es schon eine Schule mit Freiluft-Zeichenterrasse und Klassenzimmer mit Blick auf Friedhofsgrün?

Trotz Denkmalschutz: Dachgeschoss dient der Betreuung

1980 sei die Schule vom Landesdenkmalamt als Kulturdenkmal besonderer Güte eingestuft worden. Trotzdem konnte das Dachgeschoss für die Schulkindbetreuung umgestaltet werden. Dies, meint Renz im Blick auf die Schulraumnot, könne doch Beispiel geben für andere Schulen.