Gert Voss als Mephisto im Wiener „Faust – Teil 1“ im Jahre 2009 Foto: dpa

Stuttgart sei nicht seine Stadt, dachte der Schauspieler Gert Voss, als er 1972 an das Staatsschauspiel kam. Doch mit der Verpflichtung von Claus Peymann als Intendant änderte sich 1974 alles – auch für Gert Voss.

Stuttgart sei nicht seine Stadt, dachte der Schauspieler Gert Voss, als er 1972 an das Staatsschauspiel kam. Doch mit der Verpflichtung von Claus Peymann als Intendant änderte sich 1974 alles – auch für Gert Voss.

Stuttgart - Die Auftritte des Schauspielers Gert Voss bleiben unvergessen: Das beginnt mit seiner Stimme, die sehr eindringlich ist mit ihrer rauen Note. Und es geht weiter mit seinem Körper, den er jeder Rolle anpasste: Ob als Hamlet, Mephisto, Othello oder Wallenstein – er zeigte all deren Nuancen vom Schmerzensmann bis zum katzenhaft sich bewegenden Intriganten. „Ich will Geschichten erzählen“, erklärte er zu seinem 70. Geburtstag seine Motivation. Jetzt ist er am Sonntag nach kurzer, schwerer Krankheit mit 72 Jahren in Wien gestorben.

In Shanghai 1941 geboren, kommt Voss mit seiner Familie 1948 an den Bodensee. Im Südwesten beginnt auch die Bühnenkarriere – in Konstanz und in Heidelberg. Dann kommt der Schritt nach Stuttgart. Voss selbst beschreibt seine ersten Stuttgarter Jahre so: „Stuttgart fing für mich zwiespältig an. Hans Peter Doll, der Generalintendant, hatte ja eine unglaublich gute Nase für junge Talente. Branko Samarovski, Peter Sattmann, Kirsten Dene, Manfred Zapatka, Ignaz Kirchner, Therese Affolter, meine Wenigkeit – alles seine Erfindungen! Und wir sollten unter dem Motto ‚Theater mit Gefühl‘ eine neue Ära beginnen, was zunächst allerdings etwas schwachbrüstig ausfiel. Stuttgart ist nicht meine Stadt, dachte ich damals. Dann aber hat uns Doll in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Claus Peymann als neuen Schauspieldirektor aufgetischt, und mit einem Mal hat das Theater Wind unter die Flügel bekommen. Von heute auf morgen waren wir wer! Und allmählich bildete sich ein Publikum heraus, das uns – ähnlich wie die Wiener – schließlich auf Händen getragen hat.“

Und mit Peymann ging es auch weiter. Zunächst 1979 nach Bochum, von wo aus er 1983 als Hermann in Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. Und 1986 ging es mit Peymann weiter ans Wiener Burgtheater. Und auch dort gab es wieder Einladungen nach Berlin, 1987 gleich zwei: einmal als Richard III., dann noch als Akteur in einem Thomas-Bernhard-Stück, in dem er sogar im Titel auftaucht: „Ritter, Dene, Voss“. Bernhard wollte damit sicherstellen, dass tatsächlich jene Schauspieler auftreten, an die er während des Schreibens gedacht hatte.

„Voss ist ein Theater-Verführer, dem nur ein Klotz widerstehen könnte, und er wächst an seinen Handicaps“, bemerkte ein Kritiker über Voss als Richard III., „der absolute Bösewicht mit Buckel, Klumpfuß, schiefer Fratze wird zum absoluten Liebling. Dieser Richard III. ist kein eisiges Scheusal und kein satanisches Monster, sondern ein Kind, das geliebt werden will.“ Aus Richard III. „wurde sofort eine Leidenschaft, eine Leidenschaft zwischen dem Theaterkönig und dem Wiener Publikum“, erinnert sich Karin Bergmann, derzeit Interims-Intendantin des Burgtheaters: „Der Spieler-Titan war im Theater-Olymp angekommen.“

Von einer zweijährigen Interimszeit mit Peter Zadek am Berliner Ensemble in den Jahren 1994 bis 1996 abgesehen, wurde Wien die künstlerische Heimat von Voss. Dazu hatte er gute Gründe: „In Wien finden Sie sehr leidenschaftliche Theatergänger, selbst wenn Sie nicht ins Theater gehen: Es gibt Taxifahrer, die wissen besser über die Burg Bescheid als ich. Die geballte Theaterleidenschaft macht vermutlich auch den Unterschied zwischen Wien und allen anderen europäischen Städten aus. Höchstens Bochum oder Stuttgart können da mithalten! Ja, Stuttgart – auch da wird das Theater leidenschaftlich geliebt.“

Voss spielte alle großen Rollen und arbeitete mit allen großen Regisseuren wie Luc Bondy, Thomas Langhoff, Andrea Breth oder Thomas Ostermeier zusammen. Nicht nur Bernhard schrieb für ihn ein Stück, auch George Tabori, etwa die „Goldberg-Variationen“ oder „Die Ballade vom Wiener Schnitzel“. Auf der Bühne wurde er zuletzt im Herbst 2012 bejubelt als Professor Alexander in einer Bearbeitung von Tschechows „Onkel Wanja“. Regie führte der damalige Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann.