Die Eltern kämpften bis zuletzt ums Leben ihres Sohnes Charlie. Foto: dpa

Die Eltern des todkranken Charlie haben bis zuletzt um das Leben ihres Sohnes gekämpft. Nun hat ein Londoner Gericht angeordnet, wo und wann Charlie sterben wird.

London - Wahrscheinlich wird der kleine Charlie Gard an diesem Wochenende sterben. Auf einem unveröffentlichten Gerichtspapier ist genau festgehalten, an welchem Tag das elf Monate alte todkranke Kind mit all seinen Apparaturen zur künstlichen Beatmung und Ernährung von der Londoner Kinderklinik Great Ormond Street in eine Sterbeklinik verlegt wird. Die Sterbeklinik zu nennen, ist bei Strafe untersagt.  Ebenfalls ungenannt bleiben muss die vom Richter festgelegte Frist, die den Eltern bleibt, um Abschied von ihrem Kind zu nehmen. Die Pfleger, die Charlie bisher behandelten, rechnen damit, dass die Geräte binnen kurzer Zeit abzuschalten sind.

Das Schicksal von Charlie hat weit über die britischen Küsten hinaus Betroffenheit ausgelöst. Spenden aus aller Welt flossen zur Unterstützung der Eltern. Der Papst zeigte sich angerührt. Donald Trump offerierte Hilfe. Pro-Life-Demonstranten, die als „Charlies Armee“ firmierten, zogen vor der Kinderklinik und vorm Buckingham-Palast auf. Vor den höchsten Gerichten des Landes und Europas haben die Eltern darum gekämpft, ihr Kind weiter am Leben halten zu dürfen. Bis vorige Woche klammerten sie sich an die Hoffnung, es gebe noch unerprobte Behandlungsmethoden, die Charlie helfen könnten. Selbst der New Yorker Spezialist Michio Hirano, der sich auf ihren Hilferuf hin mit vagen Versprechungen meldete, wurde eingeflogen, um Charlie zu untersuchen. Er musste eingestehen, dass nichts mehr zu machen war.

Sämtliche Gerichte gaben dem ärztlichen Verdikt recht

Davon waren schon seit Monaten alle Ärzte in Great Ormond Street überzeugt. Sie waren zum Schluss gekommen, dass jegliche Behandlung „fruchtlos“ war und weitere Eingriffe „Charlies Leiden bloß verlängern“. Die Eltern sollten „ihn gehen lassen“. Sämtliche Gerichte, die die Eltern in der Folge anriefen, gaben dem ärztlichen Verdikt recht.

Bei seiner Geburt im letzten August war Charlie ein waches, lebendiges Kerlchen. Kleine Videofilme, die in den letzten Tagen veröffentlicht wurden, zeigen das. Schon nach acht Wochen aber verlor er Gewicht. Diagnostiziert wurde ein seltenes Syndrom an DNA-Schwäche, gegen das es offenbar kein Mittel gab und das rasch zu schweren Gehirnschaden führt. Im Urteil der Ärzte erwies sich dieser Schaden als „katastrophal und unumkehrbar“. Bald darauf erstarben die natürlichen Funktionen bei Charlie. Der Kleine konnte nicht mehr hören, nicht mehr sehen, nicht mehr schlucken oder atmen. Er konnte sich auch nicht mehr bewegen. Damit wollten sich die Eltern aber nicht abfinden. Sie klagten, die Klinik gebe ihrem Kind „keine Chance“. Im April zogen sie vor den High Court in London, um ein Abschalten der Geräte zu verhindern und Erlaubnis zur Ausreise mit Charlie in die USA zu erwirken. Die Rede war von einer „experimentellen Therapie“ in den Staaten, die allerdings noch an keinem Kind mit vergleichbarem Syndrom erprobt worden war. Ein Richter verweigerte diese Ausreise. Das war der Beginn einer bitteren Schlacht vor Gericht.

In den Monaten darauf sah man Charlies Eltern in den TV-Nachrichten müde und zunehmend trotzig in die Gerichte marschieren und mehrfach mitten im Verfahren in Tränen herausstürmen. Vater Chris Gard trug, wohin er ging, einen Spielzeugaffen mit sich, der über Monate auf den Titelseiten der Zeitungen zu sehen war. Aber nicht nur mit Anwälten kämpften die Eltern für ihre Sache. Schon im Januar hatte die Mutter, Connie Yates, eine Crowdfunding-Seite ins Netz gestellt. Ihr Aufruf trug ihr eine Flut von Spenden ein. Im Sommer hatten die Eltern mehr als eine Million Pfund gesammelt, um Gerichtskosten zu bestreiten und die in den USA erhoffte Behandlung bezahlen zu können.

Klinikmitarbeiter erhalten bis heute anonyme Drohungen

Weltweit wurde Anteil genommen, während die Klinik und ihre Mitarbeiter bis heute anonyme Drohungen erhalten. Charlies Eltern haben sich von diesen distanziert. Sie selbst sprachen zuletzt aber nur noch über ihre Anwälte mit Charlies Betreuern. Das Verhältnis zwischen Eltern und Klinik war am Ende völlig zerstört.

Zuletzt verlangten die Eltern, ihr Kind wenigstens noch für eine Woche mit nach Hause nehmen zu dürfen, bevor sie es sterben ließen. Die Klinik erhob erneut Einspruch: Die Beatmungsapparatur passe nicht durch die Haustür. An Spezialisten, die dann nötig wären, um das Kind noch tagelang am Leben zu halten, fehle es. Charlie würde, wenn etwas schief laufe, auf grausame Art sein Leben beenden. Dem Kind sei das nicht mehr zuzumuten, argumentierten die Ärzte. Am Donnerstagmittag trat nun die Order in Kraft, die zur Überführung Charlies in eine Sterbeklinik führen wird – oder schon geführt hat.