Roman Glaser, Präsident des Genossenschaftsverbands im Land Foto: Piechowski

Der Boom bei Genossenschaften ist in den ersten sechs Monaten des 150. Jubiläumsjahres des Genossenschaftsverbands abgeflaut. Präsident Roman Glaser sagt, woran das liegt.

Stuttgart - Der Boom bei Genossenschaften ist in den ersten sechs Monaten des 150. Jubiläumsjahres des Genossenschaftsverbands abgeflaut. Präsident Roman Glaser sagt, woran das liegt.
 
Herr Glaser, wie ehrgeizig sind Sie?
Ehrgeiz ist keine Vokabel, die ich gerne verwende. Eher bezeichne ich mich als leidenschaftlich, wenn es darum geht, mich für die Interessen der Genossenschaften einzusetzen.
Gilt das auch, wenn es um Zielerreichung geht? Sie haben zu Beginn Ihrer Amtszeit 2013 angekündigt, die Zahl der Genossenschaftsmitglieder im Land auf vier Millionen anzuheben. Bis wann haben Sie das geschafft?
Ich habe hierfür bewusst keinen Zeitplan. Bislang haben unsere Genossenschaften gut 3,7 Millionen Mitglieder in Baden-Württemberg. Davon sind rund 3,5 Millionen bei den genossenschaftlichen Banken. Seit 2009 gewinnen wir jedes Jahr bis zu 80 000 neue Mitglieder. Einen solch hohen Zuwachs kann man nicht linear fortschreiben.
Also wird es schwer, die Marke bis zum Ende Ihrer laufenden Amtszeit zum Jahresende 2017 zu knacken?
Schon jetzt ist mehr als jeder dritte Bürger im Land Genossenschaftsmitglied. Da ist die Vier-Millionen-Marke nicht unrealistisch. Allerdings wird es jedes Jahr schwerer, noch mehr Mitglieder zu gewinnen.
Dabei sprechen Sie seit 2009 von einem Genossenschaftsboom.
Ich spreche lieber von einer Renaissance der Genossenschaftsidee, die unter anderem auch durch die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise zu begründen ist. Die Krise hat nicht nur die Ökonomie verändert, sondern auch die Gesellschaft. Die Menschen sind kritischer geworden im Hinblick auf maßlose Gewinnmaximierung und legen mehr Wert auf Partizipation.
Inwiefern tragen Genossenschaften diesem Zeitgeist Rechnung?
Indem bei Genossenschaften die Gewinnorientierung nicht die entscheidende Rolle spielt. Natürlich gibt es kein Unternehmen, das ohne Gewinn auskommt. Aber bei Genossenschaften steht im Vordergrund, dass sich ein Unternehmen nachhaltig entwickeln kann und gleichzeitig sozial verantwortlich wirtschaftet. Die Partizipationsmöglichkeiten sind durch den demokratischen Grundsatz gewährleistet, dass jedes Mitglied eine Stimme hat – unabhängig von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung.
Rechnen Sie demnach für 2014 mit einem neuen Rekordjahr bei den Neugründungen?
Nein, ich erwarte kein Rekordjahr. Wir verzeichnen im ersten Halbjahr 13 Neugründungen. Im Rekordjahr 2011 hatten wir 57 Gründungen.
Warum geht die Zahl der Gründungen zurück?
Der starke Zuwachs war seit 2008 vor allen Dingen den Energiegenossenschaften zu verdanken, bei denen sich Bürger zusammentun, um gemeinsam etwa eine Solaranlage oder ein Windrad zu betreiben. Solche Unternehmungen hat der Staat lange mit hohen Einspeisevergütungen gefördert. Durch die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) hat sich allerdings Ernüchterung eingestellt.
Warum?
Bisher galt Freiheit in der Stromvermarktung. Genossenschaften haben innovative Modelle zur lokalen Vermarktung entwickelt. Mit der EEG-Reform wird diese Freiheit jedoch aufgehoben. Nun besteht die Pflicht zur Direktvermarktung. Das heißt, die Vermarktung des Stroms geht nur noch über wenige bundesweite Händler, an die alle Produzenten verkaufen müssen. Die Anforderungen an diese Händler bezüglich Technik und Management sind sehr hoch, was kleinere Marktakteure benachteiligt. Es gibt sogar Energiegenossenschaften, die in ihrer Wirtschaftlichkeit gefährdet sind.
Zum Beispiel?
Genossenschaften, die lokale Vermarktung von Strom zum Beispiel an Mieter in einem Mietshaus betreiben. Dies ist das erste Modell, das auch Nichteigentümer von Solaranlagen, und somit weniger Wohlhabende, von der Energiewende profitieren lässt. Der entsprechende Paragraf, der dieses Modell regelte beziehungsweise fördert, wurde ersatzlos – und ohne stichhaltige Begründung – gestrichen. Das heißt, nun wird für solche Modelle die komplette EEG-Umlage fällig. Dies gilt sogar rückwirkend.
Wie viel Energiegenossenschaften sind davon im Land betroffen?
In Baden-Württemberg gibt es 146 Energiegenossenschaften. Derzeit überprüfen alle ihr Geschäftsmodell. Manche werden sich künftig anders aufstellen müssen. Eine Möglichkeit ist, dass die Genossenschaften sich stärker auch in der Energieeffizienzberatung engagieren. Wie viele Genossenschaften betroffen sind, wissen wir noch nicht. Künftig werden die Menschen allerdings auch in vielen anderen Feldern Genossenschaften gründen.
Können Sie Beispiele nennen?
Ich erwarte Neugründungen etwa im Pflegebereich. Die Bürger fragen sich, wer künftig eigentlich noch die immer höher werdenden Pflegesätze zahlen können soll. Ein Lösungsansatz wäre: Man zahlt bereits in jungen Jahren in eine Seniorengenossenschaft ein und erkauft sich dadurch für später ein Pflegerecht in einem genossenschaftlich betriebenen Heim. Wir finden die genossenschaftliche Rechtsform heute bereits in ganz unterschiedlichen Segmenten – etwa bei Kindertagesstätten, Schulen, Gaststätten, Arztpraxen und Schwimmbädern.
Welche Rolle spielen Genossenschaften im Bereich der Nahversorgung mit Lebensmitteln im ländlichen Raum?
Eine zunehmende. Der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung wächst, gleichzeitig ziehen sich etwa Supermärkte aus der Fläche zurück. Das ist die Gelegenheit für Bürger, sich zu einer Genossenschaft zusammenzuschließen und einen Dorfladen zu gründen, bei dem es nicht darum geht, große Renditen zu erzielen, sondern kostendeckend zu arbeiten, um die Einkaufsinfrastruktur im Ort zu sichern.
Trotzdem gibt es noch verhältnismäßig wenige Dorfläden.
Die Tendenz ist aber steigend. Vor zehn Jahren gab es in Baden-Württemberg nur einen Dorfladen, 2013 waren es 17 und heute sind es 20. Man braucht immer einen Motor, der das Projekt in Angriff nimmt. Wenn es uns gelingt, noch mehr Menschen zu finden, die bereit sind, die Initiative zu ergreifen, sehe ich für Dorfläden noch an vielen Orten Potenzial. Denn dort, wo die Menschen ihr Geld investieren, haben sie ein Interesse daran, dass „ihr Laden“ läuft. Das ist bei den Gasthäusern und bei den Banken genauso. Die Menschen haben in Genossenschaften das Gefühl, das ist meine Wirtschaft oder meine Bank, die mich unterstützt. Leider werden uns derzeit durch die Politik mitunter große Steine in den Weg gelegt.
Inwiefern?
Wir merken an der EEG-Novelle oder den Entscheidungen zur Bankenregulierung, die aus Brüssel kommen, dass die Politiker die Belange der Genossenschaften oft einfach nicht ausreichend berücksichtigen. Die Bankenregulierung etwa ist für international agierende Großbanken entwickelt worden. Trotzdem wird uns weitgehend das gleiche Regelungsgeflecht übergestülpt.
Welche Folgen hat das?
Dass in manchen Banken die Bürokratie heute mehr Arbeitszeit in Anspruch nimmt als die Beschäftigung mit den Kunden. Und an der Stelle wird es wirklich bedenklich. Dazu kommt, dass sich nun auch noch die Europäische Zentralbank das Recht eingeräumt hat, im Ernstfall auch kleine regionale Banken zu beaufsichtigen. Wir sind nicht gegen Aufsicht. Ich möchte aber betonen, dass die Genossenschaftsbanken während der Krise keinen Cent Steuergeld für Rettungsmaßnahmen benötigt haben. Wenn wir als Dank dafür künftig Prüfer aus Brüssel ins Haus bekommen, die nicht mal das Prinzip Genossenschaftsbank kennen, wird es abenteuerlich. Wir erwarten von der Politik, dass sie sich bei der Regulierung künftig stärker am Geschäftsmodell, am Risikogehalt und an der Größe der jeweiligen Bank orientiert und entsprechend vorgeht.