Das Bild zeigt das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Foto: dpa

Wie ist in der eigenen Familie mit dem Thema Holocaust umgegangen worden? Und wie sollte an die Shoa erinnert werden? Darum ging es bei den Generationengesprächen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Stuttgart.

Stuttgart - Der Satz geht unter die Haut: „Für Bela, so fühlte ich, würde ich auch über die Grenzen des Möglichen gehen.“ Er steht in Jan Jakubowskis Biografie „Mein Überlebenskampf mit Beteiligung des Himmels“. Darin erzählt er, wie er seine Freundin mehrfach aus den Waggons rettete, die in Arbeits- und Todeslager führten. 1921 geboren in Krakau überlebte er die Kriegsjahre in Oberschlesien, indem er sich einen anderen, einen polnischen Namen zulegte. Viele seiner Familienmitglieder starben im Konzentrationslager Auschwitz und im Krakauer Ghetto.

Aus dem Buch ihres Vaters las nun Susanne Jakubowski, Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), beim Generationengespräch im Evangelischen Zentrum in Bad Cannstatt vor. „Schnee von gestern? – Der Holocaust im Spiegel der Generationen“ lautete das Thema, zu dem die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Stuttgart (GCJZ) geladen hatte. Neben Susanne Jakubowksi erzählten Hans-Peter Krüger, Schuldekan der Evangelischen Kirche Stuttgart, Peter Grohmann, Autor, Kabarettist und Anstifter sowie Schülerinnen und Schüler jüdischen und christlichen Glaubens, wann und wie sie von dem Massenmord an den Juden erfahren hatten. Nach dem Sozialpsychologen Harald Welzer muss die Vermittlung historischer Ereignisse über Generationen hinweg beständig modernisiert werden. Dazu gebe es zwei Referenzsysteme: das „Lexikon“, also das Wissen um die Vergangenheit, neben dem „Album“, das ist sind die Fotos, Geschichten und Erzählungen der Familiengeschichte. „Jede Familie schafft sich ihr eigenes Album“, sagte der Moderator Alfred Hagemann, er ist katholischer Vorsitzender der GCJZ.

Was der Vater im Krieg erlebte, wurde kaum erzählt

Während Susanne Jakubowski über das Buch ihres Vaters und Sommerfreizeiten in Israel viel über die Schoa erfuhr, beschrieb Schuldekan Hans-Peter Krüger sein Familiengedächtnis als eines von starken Frauen. Die seien meistens allein auf sich gestellt gewesen, weil ihre Männer zur See fuhren. „Was mein Vater, der sich mit 17 freiwillig meldete, im Krieg erlebte, wurde kaum erzählt.“ Erst als Schüler habe er die Zusammenhänge verstanden. Er war bereits erwachsen, als er erfuhr, „dass mein Großvater bei der Handelsmarine Munition nach Norwegen gefahren hat“, berichtete er.

Auch Peter Grohmann sprach vom Schweigen des Vaters. In Breslau Polizist gewesen, konnte er sich später nicht mehr daran erinnern, was mit den 60 000 Juden geschah, die dort lebten. „Er hatte aber das Ghetto bewacht, an Deportationen teilgenommen.“ Als Jugendlicher habe er gedacht, ein Polizist hätte doch Hitler erschießen können. Dass der Vater jüdischen Freunden gefälschte Papiere besorgt habe, sei für ihn nichts gewesen. „Ich wusste damals nicht, dass darauf die Todesstrafe stand.“ In Stuttgart habe es auch lange gedauert, bis man Stolpersteine, das Mahnmal für die Opfer der Nationalsozialismus, den Erhalt des Hotels Silber, ehedem Gestapozentrale, oder die „Zeichen der Erinnerung“ an Deportationen am Nordbahnhof durchsetzen habe können.

Es leben kaum noch Zeitzeugen

Dass heute die Themen Holocaust und Antisemitismus in den Schulen zu mechanisch und funktional vermittelt werde, eingequetscht zwischen Zweitem Weltkrieg und dem Entstehen von BRD und DDR, das monierten einige der Schüler. Jene, die keine jüdische Familiengeschichte hatten, wurden erstmals damit in der neunten oder zehnten Klasse konfrontiert. Zwar gebe es in Stuttgart einige Möglichkeiten, sich zu engagieren, so die Gymnasiasten. Aber diese Angebote müssten viel bekannter sein. „Die ,Zeichen der Erinnerung’ kennt kaum einer“, so ein Jugendlicher. „Um Erinnerung lebendig zu halten, sind Gespräche mit Zeitzeugen wichtig.“ Indes sind die meisten schon alt. „Wenn es sie nicht mehr gibt, wer soll dann erzählen?“, fragte Susanne Jakubowski. Sie schlug ein Programm vor, mit dem alle Schüler nach Israel reisen können. „Dort lernen sie die Konsequenzen kennen – und junge Menschen eines anderen Landes. So werden Gedenktage und Rituale nicht zu leeren Hüllen“, sagte sie.