Politisch motivierte Kriminalität, Terrorismus, Spionage und Scientology: Innenminister Reinhold Gall benennt die Herausforderungen für Baden-Württembergs Sicherheit Foto: dpa

Innenminister Gall im Interview über politisch motivierte Kriminalität, Spionage und Scientology.

Stuttgart - Landesinnenminister Gall (SPD) fordert ein einheitliches System der parlamentarischen Kontrolle der Verfassungsschutzämter in Deutschland und mehr Transparenz in der Arbeit der Geheimen.


Herr Gall, arbeiten Sie schon an Sozialplänen für die Verfassungsschützer, die Sie entlassen werden, Herr Minister?
Nein, warum?

Die thüringische Ministerpräsidentin will ja die Geheimen reformieren und dazu im Bund zusammenführen . . .
Also, es darf ja jeder seine Meinung haben. Aber bei allem Respekt vor der anderen Meinung: Den Vorschlag von Frau Lieberknecht halte ich für Unfug.

Mit Ruhm haben sich die Sicherheitsbehörden im Fall des Nazi-Terrortrios des Nationalsozialistischen Untergrunds ja nicht bekleckert.
Wir sollten angesichts dieser Diskussion und gerade vor dem tragischen Hintergrund der Morde nicht verkennen, dass die Sicherheitsbehörden durch ihre Arbeit in den zurückliegenden Jahren entscheidend dazu beigetragen haben, dass wir Entwicklungen, Herausforderungen und Bedrohungen rechtzeitig wahrgenommen haben . . .

. . . mit der ein oder anderen Panne . . .
Vielleicht haben wir nicht alles erkannt. Aber wir haben Angriffe auf den Staat, terroristische wie auch andere, abgewehrt. Und – das gilt zumindest für Baden-Württemberg – wir konnten dann auch entsprechende Konsequenzen ziehen.

Zum Beispiel?
Entwicklungen im rechtsextremistischen Bereich hat unser Verfassungsschutz frühzeitig erkannt, bewertet und ist mit präventiven Programmen erfolgreich in diesem Bereich aktiv geworden.

Eine dünne Bilanz, wenn es nur gelungen ist, ein paar Dutzend Neonazis aus der gewaltbereiten Szene herauszuholen . . .
Mit Verlaub, dass die islamistischen Terroristen von der Sauerland-Gruppe entdeckt und festgenommen werden konnten, daran waren unsere Sicherheitsbehörden ja nun nicht ganz unbeteiligt . . .

Erfolge, die nicht die Fehler entschuldigen, die bei der Fahndung nach den NSU-Terroristen gemacht wurden.
Sicher sind da Fehler gemacht worden, wenn auch unser Land ja nur indirekt an den Ermittlungen zu den NSU-Morden an Migranten beteiligt war. Aber wenn es darum geht, Lehren aus den Vorfällen zu ziehen, dann müssen wir uns zuerst fragen: Wie können solche Fehler in Zukunft vermieden werden? Da müssen wir in Baden-Württemberg nicht bei null anfangen. Wir haben schon frühzeitig Personal, aber auch die entsprechenden Geldmittel bereitgestellt, um unsere Behörden in die Lage zu versetzen, extremistischen und terroristischen Bedrohungen entgegenzuwirken.

Trotz aller Erfolge: Wann wollen Sie denn die Reformen einmal beenden?
Wir sind ja nun gerade erst auf dem Weg, in den Ländern und im Bund. Ich finde, da darf man nicht auch sofort Antworten erwarten. Da gibt es die Untersuchungsausschüsse, da gibt es auf Bund-Länder-Ebene die Expertenkommission, und die arbeiten alle gerade. Also da bitte ich schon einmal darum, die Arbeit dieser Gremien abzuwarten. Wenn ich jetzt schon alles besser wüsste, dann bräuchte es diese Kommissionen nicht.

Ist nicht jetzt bereits absehbar, dass sich die politische Kontrolle der Dienste verbessern muss?
Ich habe gar kein Problem damit, wenn mehr kontrolliert wird. Wir überwachen den Verfassungsschutz durch das Ministerium. Zweimal im Jahr berichte ich zusammen mit der Verfassungsschutzpräsidentin im Ständigen Ausschuss des Landtags über die Arbeit des Landesamts. Das G-10-Gremium wird unterrichtet.

Reicht das?
Sicher müssen wir uns die Frage stellen, ob noch mehr Kontrolle durch das Parlament eingearbeitet werden muss. Umso mehr das Parlament nachfragt, umso mehr die Legislative kontrolliert, desto sicherer bin ich als verantwortlicher Minister, desto sicherer sind die Verfassungsschützer.

Spätestens an den Landesgrenzen Baden-Württembergs sieht dann die Kontrolle ja schon wieder ganz anders aus.
Die Expertenkommission, die die Innenminister eingesetzt haben, prüft auch, ob es besser ist, die Kontrollorgane der Parlamente in allen Bundesländern und im Bund gleich zu gestalten. Im Moment ist da ja vieles unterschiedlich. Mir kommt es darauf an, dass wir da in Deutschland vergleichbar und transparenter werden. Denn nur so lässt sich das verlorene Vertrauen in unsere Sicherheitsarchitektur wiederherstellen.

Wie wird die denn in Baden-Württemberg in Zukunft herausgefordert?
Das Thema politisch motivierte Kriminalität sowohl von rechts wie auch von links fordert uns. Da gilt es am Ball zu bleiben. Aber: Auch das Thema Spionageabwehr und Scientology müssen wir beachten.

Deutschland ist für islamistische Terroristen vom Ruheraum zum Operationsgebiet geworden. Wie sehen Sie die Lage in Baden-Württemberg?
Die terroristische Bedrohung macht uns in der Tat Sorge. Da verändern sich Strukturen, auf die sich sowohl Polizei wie auch Verfassungsschutz einstellen. Aufgrund unserer aktuellen Erkenntnisse sind wir richtig gut beraten, ständig wach zu bleiben. Wir haben Gefährder in Deutschland, die weitestgehend identifiziert sind. An denen müssen wir dranbleiben. Dazu müssen unsere Sicherheitsbehörden aber auch in der Lage sein.

Was meinen Sie damit?
Ich meine die Debatten um Vorratsdatenspeicherung, um die Frage: Welche nachrichtendienstlichen Mittel dürfen in welchem Umfang benutzt werden? Es geht um V-Leute und verdeckte Ermittler. Ich weise darauf hin: Gäbe es diese Möglichkeiten nicht, dann hätten wir viele Erkenntnisse nicht. Es wird immer um die Abwägung in einem Rechtsstaat gehen, die Balance zwischen Freiheitsrechten und Sicherheit zu finden, die wir als Staat garantieren müssen.