Ausfahrt der Hells Angels in Karlsruhe. Baden-Württemberg gilt als Hochburg der Rockerbanden. Foto: dpa

Während es das Land mit Verboten versucht, verlagert sich die Rockerszene in den Untergrund.

Stuttgart - Der Vorfall geschah vor nicht allzu langer Zeit in einem Krankenhaus im Südwesten. Mehrere Männer bringen einen blutüberströmten Freund, der schwere Stichverletzungen am Körper hat. Der junge Mann wird umgehend notversorgt, und als der Arzt beim Ausfüllen des Formulars nicht nur nach den Personalien fragt, sondern auch wissen will, was denn da passiert sei, antworten die Männer, ihr Freund habe sich beim Heckenschneiden im Garten verletzt. Der Arzt schaut die Herrenriege ungläubig an, weil er ahnt, dass dies nicht die Wahrheit sein kann. Ermittler bestätigen später seine Zweifel. „Die Art der Einstiche und die Tiefe der Verletzungen stammen niemals von einer Heckenschere“, sagt ein erfahrener Beamter. Aber er ist machtlos. Das Opfer und seine Kumpels bleiben bei ihrer Version.

Schweigen und zusammenhalten

Schweigen, zusammenhalten, notfalls auch die Unwahrheit sagen, das sind typische Merkmale, wenn es Rockerbanden wie die Hells Angels, die Bandidos oder die Outlaws mit dem Staat zu tun haben. Baden-Württemberg nimmt in diesem Milieu inzwischen einen unrühmlichen Spitzenplatz ein. „Wir haben die größte Dichte dieser Banden in Deutschland“, sagt ein erfahrener Ermittler des Landeskriminalamts (LKA). Neue Zahlen des Innenministeriums bestätigen das. Die Zahl der lokalen Chapter oder Charter, wie sich Orts- und Regionalvereine nennen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren von 36 auf 43 erhöht. Die Mitgliederzahl liegt bei rund 800. Hinzu kommen 26 Vereine der Black Jackets und sieben Niederlassungen der United Tribuns mit zusammen rund 1000 Mitgliedern.

Und die Einschätzung der Experten ist eindeutig: „Wir haben es derzeit mit einer relativ hohen Gefahrenlage zu tun.“ Während 2007 nur neun Straftaten registriert wurden, waren es im vergangenen Jahr 84. Die Auseinandersetzungen zwischen den Banden, die Stadtteile wie ihr Eigentum verteidigen, werden immer härter. Es geht um Waffenhandel, um Rauschgift, um Prostitution, um versuchte Tötungsdelikte, um Sprengstoffanschläge – also um alle Formen der organisierten Kriminalität. Am Wochenende gab’s einen neuerlichen Beleg. In Reutlingen kam es im Umfeld einer von den Hells Angels betriebenen Gaststätte zu einer massiven Schlägerei. Die Bilanz: mehrere Verletzte. Wie es dazu kam, ist unklar. Da ist es wieder, das Schweigen der Szene, sobald der Staat im Spiel ist. „Die Rockerbanden sehen die Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung und regeln Konflikte unter sich“, sagen Ermittler. Alle Formen „der staatlichen Autorität“ würden abgelehnt.

Und der Druck in der Szene wird größer, seit der Staat verschärft gegen die Rockerbanden vorgeht. Noch gibt es bundesweit zwar kein einheitliches Verbot der Organisationen. Aber die Bundesländer sind aktiver als in der Vergangenheit. Mehrere Ortsclubs der Motorradbanden wurden inzwischen verboten, zum Beispiel in Koblenz, Berlin, Kiel – und Pforzheim. Dort sollen die Hells Angels wiederholt Straftaten begangen haben. Allein, der Club will das Verbot nicht akzeptieren und ist vor Gericht gezogen. „Wir sind zuversichtlich, dass das Verbot vor Gericht Bestand haben wird“, sagt Innenminister Reinhold Gall (SPD). Aber die Lage bleibt angespannt. Die Staatsanwaltschaft Pforzheim ermittelt derzeit gegen elf mutmaßliche Mitglieder der Hells Angels. Sie stehen im Verdacht, gegen das Vereinsverbot vom Juni 2011 verstoßen zu haben und ein getarntes Vereinsheim zu betreiben.

Kokain, Waffen, Munition

Die Umtriebe in Pforzheim scheinen kein Einzelfall zu sein. Ermittler beobachten mit Sorge, wie sich die Szene neu sortiert und nach Wegen sucht, Verbote zu umgehen – zum Beispiel durch eine Selbstauflösung wie bei den Black Jackets in Heilbronn oder bei den Hells Angels in Singen. Gerade der Bodenseeraum hat sich inzwischen zu einer Brutstätte entwickelt. Anfang dieses Jahres gründeten die Hells Angels eine Dependance in Friedrichshafen namens „Lake City“. Ermittler gehen davon aus, dass die strafrechtlich noch unbelastete Gruppe nun das Revier der Singener Gruppe mit abdeckt. Die hatte in Gottmadingen unweit der deutsch-schweizerischen Grenze ein illegales Clubheim betrieben und legte sich regelmäßig mit der Polizei an. Bei Fahndungsmaßnahmen fanden Polizei und Zoll Kokain, Waffen, Munition. Insider gehen davon aus, dass es allein im Kreis Konstanz rund 200 rivalisierende Mitglieder der Hells Angels, Gremium Black Jackets und Red Devils gibt, die längst grenzüberschreitend aktiv sind.

Immer öfter, so heißt es aus Ermittlerkreisen, würden Gruppen ihre Selbstauflösung beschließen, um sich dem Zugriff durch den Staat zu entziehen, im Untergrund neu zu sortieren oder vom Ausland aus ihr Geschäft weiterzubetreiben. Nur, dort haben die deutschen Behörden kein Zugriffsrecht. Der Innenminister weiß um die heikle Lage und gibt sich kämpferisch. Das Vereinsrecht sei „ja nur ein Mittel, um gegen kriminelle Rockerbanden vorzugehen“, so Gall auf Anfrage unserer Zeitung. Er will der zunehmenden Gefahr auch mit Hilfe der Polizeireform begegnen. „Dank der Konzentration auf zwölf regionale Präsidien werden wir mehr Spezialisten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität haben“, verspricht der Innenminister und betont: „Die Rockerbanden sind keine harmlosen Motorradfahrer, die Wochenendausflüge unternehmen, sondern Leute, die ein hohes Maß an krimineller Energie haben.“ Und ein „eisernes Schweigegelübde“ pflegen. Wie im Fall des Gärtners und seiner angeblichen Heckenschere.