Gerade während der Weihnachtsvorbereitungen kann Kaufen schnell zur Sucht werden. Foto: dpa

Kaufen kann eine Kompensation von Frust sein – und schnell außer Kontrolle geraten. Ein Experte erklärt, wann Kaufen noch Lust ist und wann es zu Kaufsucht wird.

Kaufen als Kompensation von Frust: Das kennen viele. Doch ist man dann gleich süchtig? Der Psychologe Werner Gross erklärt, was Kaufsucht ist – und was man dagegen tun kann.

Herr Gross, eigentlich wollte ich bei Ikea nur kurz Kerzen kaufen. Am Ende war der Wagen voll. Bin ich kaufsüchtig?
Nein, natürlich nicht. So etwas läuft eher unter Impuls-Kaufen. Sie lassen sich vom Angebot inspirieren und nehmen eben mehr mit, als Sie brauchen. In gewissem Maße ist das normal.
Ich muss kein schlechtes Gefühl haben?
Nein. Wenn Sie selbst nach so einem Einkauf kein schlechtes Gewissen oder Gefühl haben, ist das auch keine Sucht.
Ab wann spricht man von Kaufsucht?
Wenn Sie in den Laden gehen und den unwiderstehlichen Druck verspüren, dringend etwas kaufen zu müssen. Und wenn Sie anschließend zu Hause sind und sich Vorwürfe machen und sich fragen, weshalb Sie das nun wieder gekauft haben.
Das kommt bei mir manchmal schon vor.
Natürlich hat jeder Mensch schon mal etwas Unnötiges gekauft. Aber wenn das nicht ständig passiert, ist das in Ordnung. Eine Kaufsucht besteht dann, wenn man die Kontrolle über sich verliert oder Entzugserscheinungen hat, wenn man mal nicht einkaufen gehen kann.
Den Betroffenen ist egal, was sie kaufen?
Genau. Den Süchtigen geht es um den Erregungspegel und die ständige Steigerung der Dosis, um den Kick zu erreichen. Ich sage immer: Je größer die Löcher in der Seele sind, umso größer müssen die Perlen in der Krone sein. Wenn diese Menschen etwa nicht nur eine Jacke kaufen, sondern gleich drei in verschiedenen Farben, oder wenn sie Berge an Kosmetik in den Wagen packen, dann ist das bedenklich.
Wie entsteht solch eine Sucht?
Kaufsüchtige Menschen kompensieren mit ihrer Besessenheit etwas: ein persönliches Problem, eine Schwäche, eine schwierige persönliche Situation. Manche Kaufsüchtige versuchen auch, damit etwas anderes in den Griff zu bekommen.
Was denn?
Menschen, die unter Essstörungen wie Bulimie leiden und versuchen, diese unter Kontrolle zu bekommen, driften häufig ab in eine Kaufsucht. Deshalb ist die Kaufsucht auch eine Art Übergangsphänomen.
Vermutlich sind Frauen häufiger betroffen.
Ja, so ist es. Ich würde mal schätzen, zwei Drittel aller Kaufsüchtigen sind Frauen. Da geht es dann um Kleidung, Schuhe und Kosmetik. Bei Männern sind es eher technische Dinge oder Autos.
Was macht man als Angehöriger, wenn der Partner immer so viel einkauft?
Das ist sehr schwierig für die Betroffenen. Es ist ähnlich wie bei Alkoholsucht: Man steht daneben und kann oft nicht wirklich helfen. Obwohl es gerade die Angehörigen sind, die den Betroffenen helfen könnten.
Und wie?
Indem man etwa den Süchtigen nicht mehr alleine einkaufen gehen lässt, sondern ihn fürsorglich begleitet. Indem man darauf achtet, dass nur das eingekauft wird, was wirklich nötig ist.
Und wenn jemand alleinstehend ist?
Dann ist ein erster Schritt ein Einkaufszettel. Man sollte als Kaufsüchtiger nie ohne Einkaufsliste losziehen. Und man sollte die Geldkarten zu Hause lassen. Es gibt auch Selbsthilfegruppen, aber die halten sich meist nicht lange.
Dann hilft nur noch eine Therapie?
Ja, das ist sinnvoll. Denn bei der Kaufsucht ist es ähnlich wie bei anderen Süchten: Man muss sich um die Ursachen kümmern und nicht um die Symptome.