Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Irsching Foto: dpa

Der Ausbau erneuerbarer Energien könnte stocken, weil niemand Kraftwerke bauen will.

Böblingen/Berlin - Der Ausbau erneuerbarer Energien könnte ins Stocken geraten, weil niemand hocheffiziente herkömmliche Kraftwerke bauen will. Um Investoren bei Laune zu halten, wird jetzt diskutiert, neue Gas- oder Kohlemeiler mit Öko-Millionen zu subventionieren.

In Böblingen hätte die Energiezukunft schon vor Monaten beginnen können. Zusammen mit dem Autobauer Daimler wollte ein Stadtwerkekonsortium unter Beteiligung der Versorger in Sindelfingen und Schwäbisch Hall in der Gemeinde ein modernes Gas- und Dampfkraftwerk bauen. 750 Millionen Euro sollte in die Anlage investiert werden. Seit Ende 2010 liegt das Projekt aber auf Eis. Mittlerweile ist auch Daimler als Partner abgesprungen.

Das Beispiel Böblingen steht exemplarisch für eine ganze Reihe von Projekten. Überall in der Republik hinkt der Neubau von Kraftwerken dem Zeitplan hinterher. Und nicht immer sind dafür störrische Anwohner, wie in der Gemeinde nahe Stuttgarts verantwortlich. Meist wird der Neubau von ungünstigen Investitionsbedingungen ausgebremst.

Besonders große Auswirkungen könnte der Investitionsstau bei modernen Gas- und Dampfkraftwerken (GuD) haben. Sie gelten als notwendig, den Ausbau erneuerbarer Energien quasi als Reservepuffer zu flankieren. Ohne sie ist nach Ansicht von Fachleuten auch die Versorgungssicherheit gefährdet - flächendeckende Stromausfälle könnten dann drohen.

Der Markt gebe schlicht "nicht genug her", um Investitionen in Gaskraftwerke zu ermöglichen, sagte jüngst der Strategie-Vorstand des Energieriesen RWE, Leonhard Birnbaum. Beim Versorger EnBW stockt seit 2008 das Projekt eines neuen 450-Megawatt-Gaskraftwerks in Karlsruhe - auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen.

Kosten für Gas haben angezogen

Die Zurückhaltung der Energieversorger beim Bau neuer Meiler hat aber mehrere Ursachen. Die Kosten für den Brennstoff Gas haben in der Vergangenheit angezogen. Gleichzeitig verharren die Börsenpreise für Strom auf einem annähernd gleichbleibenden Niveau. Die Differenz zwischen Brennstoffkosten und Strom-Verkaufserlösen ist also extrem gering. Das lässt die Renditen der Versorger zusammenschmelzen. Investitionen werden unprofitabel. Außerdem werden Kraftwerksbauer wie Siemens derzeit von Aufträgen aus Indien und China überflutet und haben daher die Anlagenpreise um Millionenbeträge nach oben geschraubt.

Der wichtigste Hemmschuh für Neubauten rührt aber vom Paradigmenwechsel im Erzeugungsbereich von Strom her. In Zukunft sollen nicht mehr fossile Kraftwerke das Rückgrat der Energieversorgung darstellen, sondern Wind-, Solar- und Wasserkraftanlagen. Herkömmliche Meiler sollen nur noch zugeschaltet werden, um einzuspringen, wenn der Wind gerade mal nicht weht oder Wolken die Sonne verdunkeln.

Daraus ergeben sich aber dramatisch reduzierte Betriebszeiten der Kraftwerke. Und das schlägt voll auf deren Wirtschaftlichkeit durch. Anders ausgedrückt: Die Gasmeiler müssten die meiste Zeit des Jahres lauernd auf ihren Einsatz warten. Ein K.o.-Kriterium für Investoren.

Daher wird in der Politik nun ein eigenartiger Plan diskutiert. Demnach könnten die Energieversorger bald nur dafür Geld bekommen, ihre Kraftwerke zu Bauen und im Stand-by-Modus schlummern zu lassen - ohne eine einzige Kilowattstunde Energie zu produzieren.

Poltiik soll bei Investionsanreinzen nachbessern

Die nötigen Millionenbeträge könnten pikanterweise aus dem von der Bundesregierung eingerichteten Erneuerbaren-Energien-Fonds stammen. Entsprechende Überlegungen wurden vom Berliner Wirtschaftsministerium jüngst bestätigt. Andere Szenarien sehen vor, die sogenannten Netznutzungsentgelte zu erhöhen und den Versorgern zukommen zu lassen. Weil sich damit der Strompreis erhöhen würde, würde der Stromkunde direkt zur Kasse gebeten. Über die sogenannte EEG-Umlage zahlt dieser allerdings schon heute den Ausbau der erneuerbaren Energien mit - mit aktuell 3,5 Cent je Kilowattstunde. Bisher seien das aber alles Planspiele, heißt es dazu unisono aus Politik und Energiebranche.

Dass das Geschacher den Strom für die Kunden teurer macht, liegt indes nahe. Denn die neuen Gaskraftwerke müssen gebaut werden, sollen in Deutschland nicht die in einigen Jahren die Lichter ausgehen.

Ende Mai mahnte der Energie-Branchenverband BdEW die Bundesregierung eindringlich, Kraftwerksneubauten besser zu fördern. Was bisher in Auftrag gegeben worden sei, sei "zu wenig", um beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Fahrplan zu bleiben, so der Verband. Allein im Südwesten müssten nach Meinung von Fachleuten Gaskraftwerke mit rund 2,5 Gigawatt Leistung ans Netz, verteilt auf etwa fünf Standorte. In ganz Deutschland werden je nach Rechnung bis zum Jahr 2020 etwa 12 Gigawatt gebraucht. Fest zugesagt sind in der gesamten Bundesrepublik nach BdEW-Angaben aber zurzeit nur fünf Gigawatt.

Die Energieversorger haben die Politik daher beim Poker um satte Zuschüsse für ihre Kraftwerksprojekte in der Hand. Aus dem Stuttgarter Umwelt- und Energieministerium heißt es, dass die öffentliche Hand zahlen müsse, sei unausweichlich. In der Energie-Branche ist man sich denn auch sicher, dass die Neuanlagen irgendwann gebaut werden. Bei den Investitionsanreizen müsse die Politik aber noch nachbessern.