Eine Messerattacke war Auslöser des verstärkten Einsatzes, aber die Polizei soll vor allem den Jugendschutz überwachen. Foto: factum/Granville

Der örtliche Polizeichef will mit einem Großaufgebot verhindern, dass mehr Schnaps in jugendliche Hälse fließt, als die Hirne über ihnen verkraften. Ungeachtet dessen schweift das Auge des Gesetzes nicht überall hin.

Gärtringen - Gärtringen gilt der Jugend selten als anstrebenswertes Ausflugsziel. Heute sehr wohl. Der Bahnsteig in Böblingen ist voller als zur Berufspendlerzeit. Nur steht hier so gut niemand, der schon einen Beruf erlernt hat, sondern hier versammeln sich fast ausschließlich Schüler. Aus Jackentaschen ragen Flaschenhälse. In Rucksäcken scheppert Glas aneinander. Etwa jeder Zweite hält irgendetwas Trinkbares in der Hand. Die Vorglüher kommen auf Betriebstemperatur. Zwei Mädchen, um die 16 Jahre alt, unterhalten sich über die beklagenswerten Auswirkungen des Restalkohols auf ihren Teint. Die eine trinkt Bier aus der Dose, die andere Weißwein aus dem Becher. Gemeint ist der Restalkohol von gestern.

Narri, narro, es ist der Tag des Fasnets-umzugs in Gärtringen. Dieter Kellner, der örtliche Polizeichef, war es seit dem Fasching im vergangenen Jahr leid, volltrunkene Jugendliche durch Gassen torkeln zu sehen. „Wir wollen nicht, dass Leute zu uns kommen, sich volllaufen lassen und in die Vorgärten pinkeln“, hatte er vor der Fasnet zu Protokoll gegeben. Kellner hat den Tag des Umzugs zum Tag des Großeinsatzes erklärt – für Gärtringer Verhältnisse. Polizisten und ein privater Sicherheitsdienst sollen verhindern, dass mehr Schnaps in junge Hälse fließt, als das Hirn über ihnen verkraftet. Kellner hat ein Sicherheitskonzept ausgetüftelt, das dem vor Fußballstadien gleicht und an höherer Stelle Verstärkung angefordert. Auslöser war eine Messerstecherei nach dem Umzug 2016, auch wenn der Täter nicht jugendlich, sondern 22 Jahre alt war. Das Landgericht Stuttgart hat ihn für vier Jahre ins Gefängnis geschickt.

Ganz so ernst wie angekündigt, nimmt der Ordnungsdienst es nicht mit den Kontrollen. Am Zugang zur Umzugsstrecke wird Eintritt kassiert, aber niemand durchsucht Rucksäcke nach Schnapsflaschen. Davon gäbe es reichlich zu beschlagnahmen. Ein Spielmannszug trompetet seine Instrumentalversion von Peter Maffays „Wenn ich geh, dann geht nur ein Teil von mir“. Wäre dies ein Stuttgarter Faschingsumzug, müsste umgehend Feinstaubalarm ausgerufen werden angesichts der Dicke der violettfarbenen Rauchschwaden, die über die Hauptstraße wabern. Mit zwei Kolleginnen steht Kellner erhöht auf dem Zugang zu einem Friseursalon und beobachtet den Umzug. Heute besteht eine Streife grundsätzlich nicht aus zwei, sondern aus drei Frau oder Mann.

Eine Blondine mit freundlichem Blick schlendert hinter den Reihen der Schaulustigen vorbei. Sie trägt die Jacke des ortsansässigen Sicherheitsdienstes Son Security. Der Polizeichef ist zufrieden. Bisher ist nichts Erwähnenswertes passiert, schon gar keine Messerstecherei. Allerdings ist es auch erst kurz vor drei. Kellner hat viel Lob bekommen für sein Konzept – von Erwachsenen. Er erzählt, dass heute früh ein Jugendlicher angerufen hat um zu fragen, ob Radler beim Umzug erlaubt sei. Ist es selbstverständlich. Auch „Bier ist natürlich kein Problem“, sagt Kellner, „wenn man im entsprechenden Alter ist“.

Unter den Augen der Polizei hält so gut wie niemand gleich welchen Alters Alkoholisches in der Hand. „Wir zeigen Präsenz, das funktioniert“, sagt Kellner. „Das ist der Sinn der Veranstaltung.“ Später, nach Ende des Umzugs, sollen die Beamten durch die Straßen und Gassen streifen. Wie viele von ihnen heute im Einsatz sind „darf ich nicht verraten“, sagt Kellner, „aber es sind deutlich mehr als im letzten Jahr“.

Ungeachtet dessen schweifen die Augen des Gesetzes nicht überall hin. Offenbar hat sich das Konzept der Strenge unter der Jugend herumgesprochen. Die Polizei steht auf der einen Seite der Umzugsstrecke. Auf der anderen glitzern Scherbenhaufen hinter den Reihen der Schaulustigen. Der Umzug hat erst vor einer halben Stunde begonnen. Eben erst ist der Glockenschlag verklungen, mit dem die St. Veit Kirche drei Uhr verkünden hat. An ihrem Fuße übergibt sich der erste junge Narr, ein rotblonder Schlaks, dem noch keine Bartstoppel am Kinn sprießt.