Derzeit eingerüstet: Die Gablenberger Petruskirche; der Kirchturm ist mit 67,40 Metern der höchste Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sie gehört nicht unbedingt zu den Stuttgarter Vorzeige-Gotteshäusern, hat allerdings einen Superlativ zu bieten: Mit 67,40 Metern hat die Gablenberger Petruskirche den höchsten Turm in der Stadt. Derzeit ist sie zwar eingerüstet – doch der Anblick ist fast noch imposanter als in nacktem Zustand.

Stuttgart - Im engen Einschnitt der Gablenberger Hauptstraße fallen die Dimensionen gar nicht so recht auf. Der selbe Turm auf einer ebenen Fläche würde eine ganz andere Wirkung erzielen – wie etwa bei der fast 70 Meter hohen Schorndorfer Stadtkirche, der selbst aus fünf Kilometern Entfernung von der B 29 aus noch gut erkennbar ist.

Im Tal des Klingenbachs jedoch kann die beeindruckende Optik ihre Wirkung nicht voll entfalten. Dafür hat die Petruskirche – 1902 als Ersatz für die zu klein gewordene Vorgängerkirche eingeweiht – neben ihrem Höhenrekord noch eine weitere Kuriosität zu bieten: Weil sie aus Platzgründen in den Hang auf der Westseite der Hauptstraße gebaut wurde, hätte bei einem ebenerdigen Kirchenschiff der Großteil fensterlos im Dunkeln gelegen. Somit befindet sich im Erdgeschoss neben Gemeindesaal und kleiner Küche nur der nüchtern wirkende Vorraum – von den Gablenbergern „Paradies“ genannt.

„Die eigentliche Kirche liegt im ersten Stock“, sagt Pfarrerin Katharina Roos. 700 Gläubige passen in das Schiff, das vermutlich wegen des Maulbronner Sandsteins eine besondere Wärme ausstrahlt. „Der Raum wirkt zugänglich, alle Besucher reagieren positiv“, sagt die Pfarrerin, zu deren Gemeinde 3300 Mitglieder gehören.

Renovierung kostet insgesamt 2,456 Millionen Euro

Außen allerdings ist einiges im argen, immer mal wieder platzten kleine Stücke ab und landeten auf den Grasflächen oder Gehwegen. Die Renovierung, vorgesehen in zwei Abschnitten, kostet insgesamt 2,456 Millionen Euro, erläutert Kirchenpfleger Hermann Beck. Davon trägt die Stuttgarter Gesamtkirchengemeinde 1,183 Millionen, der Evangelische Kirchenkreis 100 000 Euro, das Landesdenkmalamt 482 000 Euro; der Rest von 691 000 Euro wird über den Ausgleichsstock der Landeshöhe finanziert. „Wir sind sehr glücklich, dass diese Renovierung jetzt kommt“, sagt Pfarrerin Roos.

„Manche Gablenberger bedauern zwar, dass man derzeit die Uhr nicht lesen kann“, sagt Roos Doch Anblick der eingerüsteten Kirche hat auch seine Reize, wie jeder Autofahrer bemerkt, der die Neue Straße hinunterkurvt und die Petruskirche aus der Distanz ganz anders wahrnimmt als bisher. Für die Pfarrerin jedenfalls hat „das „Verfremdende, Verhüllende eine eigene Schönheit“. Und sie erkennt gar einen „Christo-Effekt, in Anspielung an den Künstler, der vor 20 Jahren den Berliner Reichstag hinter Plastikplanen versteckte. Sie selbst hat das Baugerüst noch nicht erklommen und sich auch nicht mit dem Aufzug nach oben transportieren lassen. „Aber ich würde schon noch gerne mal hoch“, sagt Katharina Roos.

Diesen Wunsch muss der 67-jährige Klaus Rurländer nicht mehr hegen. Er war bereits oben. Der Rentner und Hobbyfotograf lebt in der Gablenberger Hauptstraße mit Blick auf Kirche und Turm. „Ich sehe direkt runter, was die schaffen, und habe den Baufortschritt auf Fotos festgehalten.“ Auf Anraten seiner Gattin besuchte er schließlich die Bauarbeiter, verbunden mit dem Wunsch, mal hinauf zu dürfen.

„Der Chef war einverstanden, meine Bezahlung waren die Fotos, die ich der Firma zur Verfügung gestellt habe.“ Im langsamen Aufzug ging’s nach oben, „die letzten Stockwerke muss man laufen.“ Neben dem Wetterhahn hatte er einen überwältigenden Bilderbuchausblick. Respekt vor der Höhe hat er. Aber: Das Gerüst sei immer wieder im Viereck übergreifend verankert; oben sei es ein bisschen wackliger, aber insgesamt absolut sicher.

„Ich habe ohnehin keine Höhenangst“, sagt der gebürtige Österreicher aus der Obersteiermark. Zudem habe er früher für eine Montagefirma gearbeitet und Fenster in Hochhäusern, etwa in einem Reutlinger Studentenwohnheim, eingesetzt. Auch wandere er gerne im Gebirge oder auf der Schwäbischen Alb und habe keine Probleme, „eine steile Felswand hinunterzuschauen“. Mit 18 Jahren kam Rurländer nach Stuttgart, „und ich fühl mich hier wohl und hatte nie das Verlangen zurückzukehren“. Doch nun muss er in seiner Wahlheimat mindestens ein Jahr lang jeden Morgen auf mit grünen Netzen versehene Gerüste gucken. Aber das ist für ihn „kein störender Anblick: Auch so ein Gerüst kann ein Kunstwerk sein.“