Wie hier in Ditzingen sollen bei Spielen im WFV-Gebiet Ordner für mehr Sicherheit sorgen – mit ihren Warnwesten sind sie nicht zu übersehen. Foto: WFV

Ausschreitungen im Amateurfußball finden nicht unbedingt häufiger statt, aber sie werden brutaler. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Thaya Vester vom kriminologischen Institut der Universität Tübingen.

Ausschreitungen im Amateurfußball finden nicht unbedingt häufiger statt, aber sie werden brutaler. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Thaya Vester vom kriminologischen Institut der Universität Tübingen.

Stuttgart - Es ist der 3. November 2013. Die Partie zwischen den TSG Reutlingen Young Boys II und dem SV Gniebel ist fast vorbei – die Young Boys führen mit 2:0. Ein Spiel ohne besondere Vorkommnisse – und doch verläuft an diesem Tag alles ganz anders.

Der Schiedsrichter zückt die Gelb-Rote Karte für einen Spieler des SV Gniebel. Zur selben Zeit wird ein Kicker der TSG ausgewechselt. Dabei geraten die beiden Akteure aneinander. Es kommt zum Streit. Der Vater des TSG-Spielers – als Zuschauer im Stadion – beginnt, bei den Handgreiflichkeiten mitzumischen. Der 39-Jährige greift den Spielleiter und Betreuer der Reutlinger tätlich an. Selbst als das Opfer wehrlos am Boden liegt, tritt er wiederholt auf den 56-Jährigen ein, so dass dieser bewusstlos wird.

Fälle wie dieser lassen den Eindruck entstehen, Gewaltausschreitungen würden im (Amateur-)Fußball immer zahlreicher – das trifft aber nicht unbedingt zu, zumindest nicht in Württemberg. Thaya Vester, Doktoranwärterin des kriminologischen Instituts der Uni Tübingen, erforschte in den vergangenen drei Jahren „Gewaltphänomene im Amateurfußball“. In Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Fußball-Verband (WFV) entwickelte sich ein Vorzeigeprojekt. „Das Auswerten von Sportgerichtsurteilen stand an erster Stelle“, berichtet die 31-Jährige. Berücksichtigt wurden nur die besonders schweren Vergehen, welche eine dreimonatige Spielsperre für den betroffenen Verein zur Folge hatten. Eine Befragung von Schiedsrichtern im Verband ergab, dass über die Hälfte sehr oft bis manchmal den Beschimpfungen und Pöbeleien hitziger Zuschauer ausgesetzt sind. 17,3 Prozent der Interviewten gaben an, schon einmal Opfer tätlicher Angriffe gewesen zu sein. Insgesamt wurden in der Saison 2009/2010 388 Straftaten begangen. Zwei Jahre später waren es „nur“ 373 Fälle. Die Unparteiischen kommen dabei mit 49 (09/10) und 38 (11/12) noch am schlechtesten weg. Nach Angaben des WFV finden jährlich 150.000 Fußballspiele innerhalb des Verbandskreises statt.

„Es geht in Richtung Prävention“

Die große Masse der Spiele geht also friedlich über die Bühne. Trotzdem „besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Thaya Vester. Präventivmaßnahmen wurden bereits ergriffen. Und der WFV verschärft den Kampf gegen die Gewalt auf und neben dem Rasen. Unter der Leitung von WFV-Vorstandsmitglied Rainer Domberg, dem Vorsitzenden der Kommission für Toleranz und Fairness gegen Gewalt, wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die bereits dreimal tagte. „Die exakten Maßnahmen stehen noch nicht fest, aber es geht in Richtung Prävention“, sagt Pressesprecher Heiner Baumeister. So soll es verstärkt gelingen, die Gewalttäter zur Teilnahme an Anti-Aggressions-Seminaren zu bewegen. Die Einrichtung einer technischen Zone, eine Art Tabubereich für Zuschauer am Spielfeldrand, ist für die Vereine bereits zwingend vorgeschrieben. Genauso gilt die Verpflichtung, Platzordner einzusetzen. Und auch der Handschlag vor dem Spiel gehört längst zum festen Bestandteil des Reglements. „Wir müssen jetzt erst mal abwarten, wie die weiteren Spielzeiten laufen werden, ob die Zahl der Vorfälle weiter abnimmt, stagniert oder wieder zunehmen wird. Dann können wir weitere Schlüsse ziehen“, sagt Thaya Vester.

Zurzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Tübingen gegen den Spielervater – der sich weiter ausschweigt. Das Opfer, welches sich aufgrund seiner schweren Kopf- und Gesichtsverletzungen kurzzeitig auf der Intensivstation des Klinikums am Steinenberg in Reutlingen befand, wurde bereits wenig später am Jochbein operiert. Sobald die Schwellungen abgenommen haben, soll ein „weiterer Eingriff am Kiefer erfolgen“, so der Trainer Klaus Schäfer.