Gute Stimmung in Stuttgart: Mike Hanke (li.) und Lukas Podolski bei der WM 2006 Foto: dpa

Das Länderspiel gegen Chile an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/live) ist der letzte Test, bevor Bundestrainer Joachim Löw seinen WM-Kader nominiert. Bleibt die Frage, wer eigentlich nach welchen Kriterien entscheidet, in welcher Stadt die DFB-Elf ihre Heimspiele austrägt?

Stuttgart - Chile ist auf den ersten Blick nicht der attraktivste Gegner. Trotzdem ist die Mercedes-Benz-Arena ausverkauft. Auf Stuttgart kann sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) eben verlassen. Umgekehrt gilt das ebenso. Auch Stuttgart kann sich auf den DFB verlassen: 1950 vergab der Verband das erste Länderspiel nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Schweiz (1:0) ins damalige Neckarstadion, und in den vergangenen 20 Jahren fanden hier die attraktivsten Länderspiele statt – gegen die Top-Gegner Brasilien (2), Italien (2), Argentinien, Frankreich und, mit Abstrichen, Irland. Das Spiel um Platz drei bei der WM 2006 gegen Portugal (3:1) zählt nicht, weil der Weltverband Fifa die Partie vergeben hatte. „Stuttgart ist mal wieder an der Reihe. Außerdem ist Stuttgart für uns ein sehr attraktiver Spielort“, sagt Michael Kirchner, Leiter der DFB-Abteilung Organisation und Eventmanagement.

Das liegt am Stadion, an der Infrastruktur, an der Begeisterungsfähigkeit der Fans, die in den acht Länderspielen seit 1994 für eine 100-prozentige Auslastung gesorgt haben – und auch an der Nähe zu Mercedes-Benz. „Unser Sponsor nimmt keinen Einfluss auf die Vergabe der Länderspiele nach Stuttgart“, beteuert Kirchner zwar, „er regt höchstens an, welche Spiele hier stattfinden sollen.“ Kein Schaden war auch, dass der langjährige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder aus Stuttgart kommt. Denn wo die Heimspiele ausgetragen werden, entscheidet das DFB-Präsidium. Und da hat die Stimme des Chefs Gewicht.

Mit sechs „großen“ Gegnern seit 1994 führt Stuttgart die Rangliste der deutschen Städte an, dahinter folgen Gelsenkirchen (3) und Berlin (2). Wenn es sportlich um die Wurst geht, wenn eine Qualifikation besiegelt werden muss, liegen Dortmund (4) und München (3) vor Berlin und Hamburg (je 2). „Dann spielen Faktoren wie die Größe des Stadions und dessen Eignung als Hexenkessel eine gewichtige Rolle“, sagt Kirchner. Darauf drängt dann schon Oliver Bierhoff: Der Nationalmannschafts-Manager hat Sitz und Stimme im Präsidium und „kann Wünsche platzieren“ (Kirchner).

Das war aber auch schon vor Bierhoffs Zeiten beim DFB so. So pochte die damalige sportliche Leitung darauf, das entscheidende Play-off-Spiel zur EM 2002 gegen die Ukraine (4:1) in Dortmund auszutragen. Der 1:0-Sieg im WM-Spiel 2006 gegen Polen hat Dortmunds Ruf als Heimfestung unterstrichen. Die Qualifikation zur WM in Brasilien machte die Nationalelf 2013 gegen Irland in Köln perfekt. Dass Berlin Austragungsort für das Länderspiel gegen die Türkei wurde, war auch kein Zufall: In der Hauptstadt leben die meisten Türken in Deutschland. „Das war für uns ein wichtiges Kriterium. Allerdings haben uns Kritiker entgegengehalten, dass wir damit auch extrem viele gegnerische Fans im Stadion haben“, sagt Kirchner. Was nur bedeutet: Jedem kann man es sowieso nicht recht machen.

Mindestens 40 000 Plätze muss ein Stadion haben, um Schauplatz eines Länderspiels zu werden. Der DFB hat mit der Vereinigung deutscher Stadionbetreiber, die 15 Städte vereint, einen Vertrag bis 2015 abgeschlossen. Darin ist die Zahl der Vip- und Presseplätze sowie die passende Infrastruktur geregelt. Der Verband mietet die Stadien jeweils drei Tage vor bis einen Tag nach einem Länderspiel an und zahlt den Betreibern dafür 375 000 Euro, 25 000 Euro gibt er für Umbaumaßnahmen. Die Logos der Vereinssponsoren müssen allerdings zugunsten der DFB-Sponsoren überdeckt sein. Die Stadionbetreiber erhalten zehn Prozent der Einnahmen aus dem Kartenverkauf.

Damit kleinere Stadien nicht leer ausgehen, vergibt der DFB weniger attraktive Qualifikationsspiele, Frauen-Länderspiele, Benefizspiele und Begegnungen der U-21-Auswahl an Städte wie Leverkusen, Mönchengladbach, Freiburg, Rostock, Sinsheim oder Wolfsburg. „Wir achten darauf, dass jede Stadt in einem bestimmten Rhythmus Spiele bekommt“, sagt Kirchner. In Freiburg, der Heimat von Bundestrainer Löw, schießt sich die Nationalmannschaft gern auf WM- und EM-Turniere ein. In diesem Jahr verabschiedet sich die DFB-Elf am 6. Juni in Mainz gegen Armenien – tags darauf ist der Abflug nach Brasilien.

Angeblich kursiert auch eine schwarze Liste mit Städten, die der DFB lieber meidet – was Kirchner freilich in Abrede stellt: „Wir benachteiligen keine Stadt.“ Kaiserslautern etwa wird zumindest lange auf das nächste Länderspiel warten müssen. Die Fans in der Pfalz pfiffen Mario Gomez im August 2013 beim Länderspiel gegen Paraguay (3:3) ohne erkennbaren Grund gnadenlos aus, was Kapitän Philipp Lahm auf den Plan rief: „Das gehört sich nicht, einen eigenen Spieler so runterzumachen. Das macht man nicht.“ Davor hatte es im März 2013 auch in Nürnberg beim 4:1 gegen Kasachstan Pfiffe gegen Torhüter Manuel Neuer gegeben. Die Stadt hat allerdings einen Vorteil: Ganz in der Nähe liegt Herzogenaurach – der Sitz des DFB-Ausrüsters.

Bleibt noch eine Frage: In welcher Stadt ist die Nationalmannschaft eigentlich am erfolgreichsten? Tusch – das Rennen machen, wenn auch in Testspielen Punkte vergeben würden, Köln, Freiburg, Leipzig und Rostock mit je drei Zählern im Schnitt. Stuttgart (1,29) liegt an vorletzter Stelle vor München (1,17), doch das ist kein Wunder: Gegen Brasilien oder Italien fallen Siege eben besonders schwer.