Frisch blondiert: Aaron Ramsey fällt nicht nur durch seine Leistungen auf. Foto: AFP

Die Hoffnungen der Waliser im Spiel gegen Nordirland ruhen neben Gareth Bale allen voran auf dem frisch erblondeten Aaron Ramsey. Der spielt bei der EM groß auf.

Paris - Die Mannschaftskollegen staunten erst gehörig, der übliche Kabinenspott (Fachbegriff: „bants“ ) ließ aber nicht lange auf sich warten. „Mit (Justin) Bieber fahren wir ins Trainingslager“, schrieb der Rechtsverteidiger Chris Gunter auf Twitter unter ein Foto, das ihn mit dem frisch erblondeten Mannschaftskollegen Aaron Ramsey zeigte.

Ramseys neue, pünktlich zur EM zugelegte Haarpracht, erinnert wahrlich ein bisschen an die Frisur des kanadischen Popstars; ob das von dem Arsenal-Mittelfeldspieler so beabsichtigt war, sei dahingestellt. Recht interessant wird diese Petitesse jedoch erst, wenn man weiß, dass Ramsey – Spitzname Rambo – in seinen acht Jahren als Profi bei einem Spitzenclub der Premier League zuvor noch nie mit irgendwelchen modischen Mätzchen aufgefallen ist. Der 25-Jährige ist, im Gegenteil, abseits des Platzes einer der ruhigsten, unauffälligsten Spieler in einer Liga, die ihre Kicker mit soviel Geld zuschüttet, dass viele schnell die Bodenhaftung verlieren.

Kein Mann für die Klatschspalten

Er war nie in den Klatschspalten, nie wegen Indiskretionen in der Bredouille; er ist ein guter, leiser Typ, der sich im Urlaub für den Schutz von Elefanten einsetzt. „Aaron hat kein Problem damit, im Hintergrund zu bleiben“, hat der Waliser Nationaltrainer Chris Coleman neulich gesagt, als es mal wieder darum ging, dass Ramsey und seine Mitspieler in der Öffentlichkeit weitgehend als Zuarbeiter von Superstar Gareth Bale (Real Madrid) gesehen, beziehungsweise gar nicht gesehen werden.

Coleman, ein gerissener Kerl, der als Trainer von Real Sociedad 2007/08 einst eine defekte Waschmaschine für eine verpasste Pressekonferenz verantwortlich machte, in Wahrheit jedoch Flüssigkeitsproblemen der ganz anderen Art (Party bis fünf Uhr morgens) gehabt hatte, ist aber lange genug im Geschäft, um zu verstehen, dass Ramsey Ende Mai nicht ganz zufällig zum Friseur gegangen ist: „Wer mit seinen Haaren schockiert – und das hat er! – braucht viel Selbstbewusstsein, weil er damit im Rampenlicht stehen wird.“

Ramsey spielt in Frankreich sein übliches, von hohem Laufaufwand gekennzeichnetes Spiel, als wichtigste Hilfskraft von Gareth Bale in der Offensive, aber er will dafür offensichtlich auch stärker wahrgenommen werden. Ramsey lieferte beim 3:0 gegen Russland im letzten Gruppenspiel im Verbund mit Bale eine hervorragende Leistung ab, er erzielte das erste Tor und steht nach drei Partien bei zwei Vorlagen.

Kreativität und Defensivarbeit

Der im Trabantenstädtchen Caerphilly zwölf Kilometer außerhalb von Cardiff aufgewachsene Leistungsträger (42 Länderspiele) verbindet kreative Momente mit unheimlich viel mannschaftsdienlicher Arbeit in der Defensive: kein Mittelfeldspieler hat bei der EM öfters gegrätscht (27 Mal), keiner den Ball in der Zentrale öfters gewonnen (16 Mal). Ramsey galt früh als größtes Waliser Talent seit Ryan Giggs, mehrere Premier-League-Vereine boten Cardiff City eine Million Pfund für einen Transfer, als er 15 Jahre alt war. Mit 17 ging er zum FC Arsenal und wurde bald Stammspieler, bevor Stoke-City-Verteidiger Ryan Shawcross im Februar 2010 wie ein 80-Kilo-Klappmesser anrauschte und ihm einen Schien- und Wadenbeinbruch zufügte. Ramsey war neun Monate außer Gefecht, Shawcross’ Entschuldigung nahm er nicht an. Seitdem singen die Fans im Britannia-Stadion bitterböse über „Aaron Ramsey mit dem Hinkebein“, wenn die Gunners zu Besuch sind.

Wales stand vor vier Jahren an 177. Stelle der Fifa-Rangliste, seitdem haben die „Red Dragons“ nicht zuletzt dank Ramsey, dem zweiten, heimlicheren Spitzenkönner in der Mannschaft einen „verrückten Sprung nach vorne gemacht“, wie er sagt; bei der Auslosung für die WM-Qualifikation waren sie im Topf der Favoriten. Aktuell werden die Waliser von der Fifa als 26.-beste Mannschaft der Welt geführt, einen Platz unterhalb der Nordiren, die am Samstag den Achtelfinalgegner im kleinsten aller „Battles of Britains“ geben. Coleman setzt auf die starke Abwehr und auf den schnellen Bale, und zwischen diesen beiden Abteilungen vor allem auf Ramsey, der nicht mehr wie früher ständig in Richtung Strafraum rennt, sondern „sich seiner Position und Verantwortung auf dem Platz viel bewusster ist“, wie Coleman sagt.

Laut der „Sun“ ist ob der starken Vorführungen mittlerweile Manchester United interessiert. Das könnte, kein Witz, auch an den Haaren liegen. In ihrem Buch „Warum England immer verliert“ haben Simon Kuper und Stefan Szymanski nachgewiesen, dass Premier-League-Scouts blonde Spieler stärker bemerken und überdurchschnittlich gut bewerten.

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