Regisseur Löw: Ordnung im Spiel, aber ohne die Kreativität des Einzelnen zu ersticken Foto: Bongarts

Die EM in Frankreich ist die große Bühne der Fußballstars. Wer bringt es zu beson­deren Ehren? Wir haben – analog zur Oscar-Verleihung – vorab nominiert. Teil drei: die Kandidaten in der Kategorie „Beste Regie“.

Stuttgart - 62 Jahre sind eine lange Zeit, und die Maßnahmen des Chorleiters Albert Sing zur Kräftigung der Stimmbänder und Stärkung des Mannschaftsgeistes würden inzwischen kaum mehr ausreichen, um einen Haufen Bolzplatzkicker aus ihrer Stammkneipe zu treiben. 1954 trug der einzige Assistent von Sepp Herberger aber mit seiner Art von Teambuilding dazu bei, dass Deutschland das Wunder von Bern gelang.

Der Geist von Spiez wurde zur Legende – und schon damals zeichnete sich ab, was heutzutage Gewissheit ist: Nur Trainer, die dem Zufall nicht die Regie überlassen, eröffnen sich und ihrem Ensemble die Chance, auf großer Bühne historische Erfolge zu feiern. Kein Meisterwerk gelingt ohne Plan. Aber jeder Plan ist nur so gut wie die Vorarbeit, die in ihm steckt. Weshalb ein Fußballtrainer so ziemlich alles im Blick haben sollte, was auf dem langen Weg zum Erfolg helfen oder auch nur ein bisschen stören könnte. Den textsicheren Trainerassistenten von einst ersetzt im deutschen Tross inzwischen ein Helferteam aus 40 Experten, das dem Regisseur des Dramas jede Handreichung liefert, die ihm den Weg zum Erfolg erleichtern könnte: Ärzte, Physiotherapeuten, Fitnesstrainer, Psychologen, Spielbeobachter und -analytiker, Medienexperten, Ernährungsberater.

Eine Antwort auf jedes Problem

Ein guter Trainer ist, wer es versteht, diese Möglichkeiten optimal zu orchestrieren. Ein sehr guter ist, wer seiner Mannschaft die Spielform schneidert, die zu ihr am besten passt, ohne die individuelle Klasse und Kreativität des einzelnen Spielers unnötig zu hemmen. Und sogar großartig ist er, wenn er dies alles verknüpft mit variablen Taktiken und Strategien, die auf jedes Problem im Spiel eine Antwort liefern können.

Hennes Weisweiler gelang dieses Kunststück einst mit den Gladbacher Fohlen, Ottmar Hitzfeld mit dem FC Bayern, Ernst Happel mit dem Hamburger SV, Arrigo Sacchi mit dem AC Mailand, Waleri Lobanowski mit Dynamo Kiew, Rinus Michels mit der niederländischen Nationalmannschaft und Vicente del Bosque mit den Spaniern.

Joachim Löw, sagen seine Wegbegleiter, hat den deutschen Fußball zwar nicht neu erfunden, aber die Impulse seines Vorgängers Jürgen Klinsmann mit viel Feingespür und Konsequenz so weit verfeinert, dass er mit dem Weltmeister dem Idealbild eines stimmigen Ensembles inzwischen sehr nahe kommt.

Jeder auf seine Art

Jeder Trainer sucht auf seine Art den Weg zum Erfolg. Nicht nur Joachim Löw, 1997 Pokalsieger mit dem VfB Stuttgart, ist dabei ein paarmal falsch abgebogen (Österreich, Türkei, Karlsruhe). Als Bundestrainer scheint er aber den Arbeitsplatz gefunden zu haben, der am besten zu ihm passt. Unaufgeregt, umsichtig, team-und kritikfähig arbeitet er frei von den Zwängen des alltäglichen Ligabetriebs am einen und einzigen Ziel: dem sportlichen Erfolg.

Und wenn ihm auf dem Weg zum EM-Titel das gemeinsame Absingen von Volksliedern helfen könnte, hätte er vermutlich auch nichts dagegen.

Der walisische Trainer

Chris Coleman (46)

Kein Zweifel: Der Mann hat was. Vor allem Biss. 2012 übernahm er das Amt des walisischen Nationaltrainers nach dem tragischen Tod seines Vorgängers Gary Speed. Der Ex-Nationalspieler führte das kleine Land zum ersten Mal nach 52 Jahren wieder zu einer EM. Sein Erfolgsmodell: eine Abwehr, die sich aufopfert. Und ein Superstar im Sturm: Gareth Bale.

Der deutsche Trainer

Joachim Löw (56)

Er zählt schon jetzt zu den Großen der Branche, hätte aber nichts dagegen, noch die eine oder andere Trophäe in Händen zu halten. Der Weltmeister-Trainer weiß: Titel zu holen ist schwer, noch schwieriger ist es, neue hinzuzufügen. Deshalb hat er die EM bis ins Detail geplant. Sein Team geht optimal vorbereitet ins Turnier. Jetzt braucht es noch ein bisschen Glück. Aber auch das will er zwingen.

Der russische Trainer

Leonid Sluzki (45
)

Das gab es noch nie: ein russischer Trainer, der lächelnd seine Arbeit macht. Und einer, der beliebt ist bei den Spielern und bei den Fans. Unter Leonid Sluzki, der in Personalunion ZSKA Moskau trainiert, haben die Russen wieder Spaß beim Fußballspielen. Die meisten Spieler sind schon ein wenig in die Jahre gekommen, die EM ist ihre letzte Chance auf einen großen Titel. Dawai!

Der französische Trainer

Didier Deschamps (47)

Wer die Equipe Tricolore führt, sollte Talente in Psychologie und Sozialpädagogik nachweisen können. Den irgendwas ist immer bei den Franzosen. Zum Beispiel Stürmerstar Karim Benzema, der wegen einer dubiosen Erpressungsgeschichte aussortiert wurde. Mon dieu, jetzt wirft er dem Trainer auch noch Rassismus vor. Aber Didier Deschamps macht das, was er schon als Spieler (Weltmeister 2008, Europameister 2000) am besten konnte. Er erledigt unauffällig Job. Eine gute Idee vor der Heim-EM.

Der spanische Trainer

Vicente del Bosque (65)

Er ist mit seiner ruhigen Art eine Ausnahmeerscheinung unter den Nationaltrainern. 2008 übernahm er die das Europameisterteam von Luis Aragonés, behielt den Stil aus Kurzspass- und Kombinationsspiel bei und baute behutsam junge Spieler ein. 2010 wurde Spanien Weltmeister, 2012 verteidigte das Team als erstes den EM-Titel, bei der WM 2014 kam das Aus nach der Vorrunde. Na, und? Del Bosque hat immer einen Plan.