Joachim Löw denkt nach: Am Dienstag gibt der Bundestrainer seinen endgültigen Kader für die Europameisterschaft bekannt. Foto: Getty Foto:  

Vier Spielern muss Bundestrainer Joachim Löw am Dienstag eine traurige Botschaft übermitteln – sie werden aus dem EM-Aufgebot gestrichen und sind beim Turnier in Frankreich nicht dabei.

Ascona - Nur der Trommelwirbel fehlt, als der Bundestrainer zum Zwecke der Spannungssteigerung eine rhetorische Pause einlegt. Wann er denn gedenke, der Uefa seinen endgültigen Kader für die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich mitzuteilen, so lautete nach der 1:3-Testspielniederlage gegen die Slowakei am Sonntag die Frage. „Am Dienstag um 23 Uhr, 59 Minuten und 45 Sekunden“, antwortet Joachim Löw und sorgt am Ende dieses grotesken Hochwasserabends in Augsburg noch einmal für allgemeine Erheiterung.

Um Punkt Mitternacht wird die Meldefrist ablaufen, doch so viel Bedenkzeit wird Löw nicht mehr benötigen, um vier überzählige Spieler auszusortieren. Bitter mag es zwar für die Betroffenen sein, die ihre Koffer schon frühzeitig packen und das Trainingslager in Ascona verlassen müssen. Von nur überschaubarer Bedeutung aber dürfte es für den Gesamterfolg sein, wer die Ersatzbank in den nächsten Wochen wird auffüllen dürfen. Eine Entscheidung muss nun trotzdem her – und nur in einem der vier Mannschaftsteile braucht sich niemand zu sorgen. Tor: Nur drei Torhüter hat Löw von vornherein nominiert – und muss nach dem Spiel gegen die Slowakei noch stärker hoffen, dass Manuel Neuer in den nächsten Wochen unversehrt bleibt. Der Leverkusener Bernd Leno, der die Nummer eins in Augsburg in der ersten Hälfte vertrat, bekam bei seinem Debüt zwei Bälle aufs Tor, was zwei Gegentreffer bedeutete. Noch bedauernswerter war Marc-André ter Stegen, der nach der Pause kam, als der Himmel seine Schleusen geöffnet hatte. Ein harmloses Schüsschen ließ der Keeper des FC Barcelona durch die Beine flutschen und fügte damit seiner bislang völlig missratenen Länderspielkarriere eine weitere Slapstickeinlage hinzu. Zur EM darf er trotzdem – die Rollenverteilung hinter Neuer aber dürfte geklärt sein. Verteidigung: Mit einer Dreierkette will Löw zumindest in der EM-Vorrunde den defensiven Kontrahenten begegnen und testete diese Variante auch gegen die Slowakei. Die Erkenntnis: Kaum tauglich dürfte im Ernstfall der gelernte Mittelfeldspieler Joshua Kimmich sein, der zwar auch in München in der Abwehr spielte, dem aber die Robustheit und Erfahrung fehlen. Jérôme Boateng ist der Abwehrchef, auch Antonio Rüdiger und Benedikt Höwedes müssen sich keine Sorgen machen. Eher schon Shkodran Mustafi, der in Augsburg nicht zum Einsatz kam. Seine Chancen vergrößern sich, sollte bei Mats Hummels (Muskelfaserriss in der Wade) keine baldige Genesung in Sicht sein.

Traditionell gering sind die Auswahlmöglichkeiten auf den defensiven Außenpositionen. Auf links hat Jonas Hector mangels Konkurrenz seinen Platz sicher; auf rechts darf Sebastian Rudy auf das EM-Tickt hoffen, obwohl der Hoffenheimer noch immer manchmal wirkt wie ein Jugendspieler. Als Ersatz steht Emre Can bereit, der am Sonntag zwar zuschauen musste, in Liverpool aber (im Mittelfeld) eine gute Saison gespielt hat. Für Rudy spricht die Technik, für Can die Physis und internationale Erfahrung. Mittelfeld: Bastian Schweinsteiger verletzt, Sami Khedira immer mal wieder angeschlagen – das gibt dem Dortmunder Neuling Julian Weigl eine Resthoffnung, nach Frankreich fahren zu dürfen. Denn als Konstante im zentralen defensiven Mittelfeld gilt nur Toni Kroos, der an diesem Dienstag als Champions-League-Sieger nach Ascona reist. Der Platzhirsch im offensiven Mittelfeld ist Mesut Özil (auch schon als Sechser eingesetzt), auch Mario Götze kann dort spielen und hat seinen Platz sicher.

Ein Überangebot besteht auf den Flügeln. Thomas Müller auf rechts und Marco Reus auf links sind Stammspieler, für André Schürrle sprechen Erfahrung und WM-Bonus, Lukas Podolski genießt als Integrationsfigur einen Sonderstatus. Der Rest muss zittern. Als erster Streichkandidat gilt Julian Brandt, für den die EM zu früh kommen dürfte. Eng wird es auch für Julian Draxler und/oder Karim Bellarabi, der auch noch angeschlagen ist, für den aber immerhin die Schnelligkeit spricht. Besser stehen die Chancen für Leroy Sané, der ebenso schnell und völlig unberechenbar ist. Zumindest einen Überraschungsmann in seinem Kader wird sich Löw wohl gönnen. Angriff: Ohne echten Mittelstürmer sind die Deutschen vor zwei Jahren Weltmeister geworden, jetzt haben sie wieder einen: Mario Gomez. Der frühere Stuttgarter ist topfit und voller Selbstvertrauen, gegen die Slowakei verwandelte er den Foulelfmeter zum 1:0. „Er ist nicht der spielende Mittelstürmer, der im Mittelfeld mitkombiniert, sondern lauert vorne im Sechzehner, wo er seine Torgefahr ausspielen kann“, sagt Löw. Auf Götze oder Sané kann der Bundestrainer zurückgreifen, wenn er wie in den vergangenen Jahren mit einer falschen Neun die gegnerische Abwehr durchbrechen will.