Entschlossenheit pur: Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer, Thomas Müller und Toni Kroos (von links) sind bereit für die entscheidende Phase bei der Europameisterschaft in Frankreich. Foto: dpa

Nach der mühsamen Gruppenphase beginnt die EM für das deutsche Team erst jetzt so richtig: Im Achtelfinale gegen die Slowakei will der Weltmeister mit Nachdruck demonstrieren, dass er in der Lage ist, den nächsten Titel zu holen.

Evian - Das Spiel ist gerade erst zu Ende gegangen, 120 Minuten hat es gedauert. Der Schweiß steht auf der Stirn von Per Mertesacker. Überstanden ist das Achtelfinale gegen Algerien bei der WM 2014 in Brasilien, mit Ach und Krach zwar, am Ende aber erfolgreich – 2:1, so lautet das Ergebnis. Also kann der Innenverteidiger rein gar nichts anfangen mit den Fragen, warum die deutsche Abwehr so viel zugelassen und der Angriff so wenig Glanz versprüht hat. „Wat wolln Se von mir? Dass wir schön spielen und wieder ausscheiden?“, so blafft Mertesacker den ZDF-Reporter an. „Ich leg mich jetzt erst mal drei Tage in die Eistonne, und dann sehen wir weiter.“

Legendär ist es geworden, das Eistonnen-Interview in Porto Alegre, millionenfach angeklickt bei Youtube. Es gilt im Rückblick als wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zum WM-Triumph, der zwei Wochen später folgen sollte. Denn Mertesackers Aufbegehren gegen die öffentliche Kritik schweißte das deutsche Team in ihrem Inneren noch stärker zusammen – und entfaltete nach außen hin Signalwirkung, wie der Bundestrainer Joachim Löw meint: „Mit seinen Worten hat Per zu verstehen gegeben, dass da eine Mannschaft ist, die etwas erreichen will.“

Ein klarer Sieg könnte eine Initialzündung bedeuten

Am Sonntag (18 Uhr/ZDF) bestreitet die DFB-Auswahl in Lille ihr nächstes Achtelfinale bei einem großen Fußballturnier. Auch bei der Europameisterschaft in Frankreich bekommt sie es mit einem krassen Außenseiter zu tun, dem Team aus der Slowakei. Und wieder will die Auswahl von Joachim Löw dieses erste K.-o.-Spiel dazu nutzen, mit Nachdruck zu demonstrieren, dass sie es bitterernst meint mit ihrem Vorhaben, nach der WM-Trophäe auch den Henri-Delaunay-Pokal mit nach Hause zu bringen, der am 10. Juli in Paris dem Europameister überreicht wird.

Ein forsches Interview nach einem glücklichen Sieg soll dafür nicht mehr nötig sein, auch keine Eistonne nach völliger Erschöpfung. Für klare Verhältnisse will die Mannschaft diesmal auf dem Spielfeld sorgen. „Ein klarer Sieg könnte eine Initialzündung sein“, sagt Manuel Neuer, der im Algerien-Spiel vor zwei Jahren mit seinen Rettungsaktionen weit vor dem eigenen Strafraum in der Heimat zu „Manu dem Libero“ ernannt und in der ganzen Welt als Kultkeeper gefeiert wurde.

Jetzt geht es also auch in Frankreich endlich richtig los. Das Achtelfinale gegen die Slowakei ist für die deutsche Nationalmannschaft der eigentliche Beginn der Europameisterschaft. Erst jetzt wird es spannend, nachdem die Gruppenphase eine Art verlängerte Vorbereitung unter Wettkampfbedingungen war, in der es „nicht ganz so viel zu gewinnen gab“, wie Manuel Neuer sagt.

Mehr Probleme als gedacht

Tollkühner Einsatz wie gegen Algerien ist bisher nicht erforderlich gewesen – der Münchner hat, von zwei Bällen im Auftaktspiel abgesehen, in der Vorrunde wenig auf sein Tor bekommen. Kein Gegentor musste das DFB-Team in den drei Gruppenspielen hinnehmen – und hatte gegen die Ukraine (2:0), Polen (0:0) und Nordirland (1:0), nur Mittelmächte des europäischen Fußballs, trotzdem mehr Probleme, als es im Vorfeld zu vermuten gewesen war. Der Weltmeister habe „die Pflicht erfüllt“ , sie seien „vollkommen im Soll“, sagt Neuer, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Auch der Torwart kann nachvollziehen, dass in Deutschland „noch nicht die Rieseneuphorie“ ausgebrochen sei. Die üblichen Rekordeinschaltquoten gab es zwar auch diesmal, doch saßen die Leute eher gelangweilt vor dem Fernseher und warteten vergeblich auf den großen Aha-Effekt. Das soll sich jetzt ändern, spätestens in einem Viertelfinalklassiker gegen Spanien oder Italien, nach Möglichkeit aber schon am Sonntag gegen die Slowakei. „Alles kommt auf die K.-o.-Phase an“, sagt Neuer.

Ganz normale Spiele sind es nie gewesen, diese ersten Endspiele, denen im Idealfall drei weitere folgen. Mitreißend war das 3:2 gegen Portugal bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz, dem ersten Turnier unter der alleinigen Führung von Joachim Löw; berauschend das 4:1 gegen England zwei Jahre später in Südafrika. Zum Titel reichte es aber nur in Brasilien, als das DFB-Team ins Viertelfinale nicht stürmte, sondern holperte. Heute weiß man, dass die befreiende Wirkung des Sieges gegen Algerien besonders groß war – Per Mertesacker sei Dank.

EM 2008, Viertelfinale, in Basel/Schweiz: Deutschland – Portugal 3:2

Zur rechten Zeit präsentierte sich das deutsche Team auf Toplevel. Es musste zwar beim 3:2-Sieg (Tore: Schweinsteiger, Klose, Ballack) gegen die spielstarken Portugiesen bis zum Schluss gezittert werden, doch der Sieg war ein klassisches Beispiel für die Steigerungsfähigkeit eines Teams gegenüber der Vorrunde. Bester deutscher Spieler: Bastian Schweinsteiger. Aufstellung Lehmann – Friedrich, Mertesacker, Metzelder , Lahm – Hitzlsperger (73. Borowski), Rolfes – Schweinsteiger (83. Fritz), Ballack, Podolski – Klose (89. Jansen) .

WM 2010, Achtelfinale, in Bloemfontein/Südafrika: Deutschland – England 4:1

Deutschland setzte im Klassiker ein dickes Ausrufezeichen. Es war ein geschichtsträchtiges Spiel: Miroslav Klose zog mit seinem zwölften WM-Tor zur 1:0-Führung in der ewigen WM-Torjägerliste mit Pelé gleich. Überragender Mann im DFB-Team war Thomas Müller. Seine klasse Leistung krönte er mit den Treffern zum 3:1 und 4:1. Aufstellung Neuer – Lahm, Mertesacker, Friedrich, Boateng – Khedira, Schweinsteiger – Müller (72. Trochowski), Özil (83. Kießling), Podolski – Klose (72. Gomez).

EM 2012, Viertelfinale, in Danzig/Polen: Deutschland – Griechenland 4:2

Deutschland zeigte den Griechen deutlich die Grenzen auf. Was man der Löw-Elf lediglich vorwerfen konnte, war der fahrlässige Umgang mit den Chancen. Es wären mehr Tore möglich gewesen als die Treffer von Lahm, Khedira, Klose und Reus. Aufstellung Neuer – Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm – Schweinsteiger, Khedira – Reus (80. Götze), Özil, Schürrle (67. Müller) – Klose (80. Gomez).

WM 2014, Achtelfinale, in Porto Alegre/Brasilien: Deutschland – Algerien 2:1 n.V.

Erst nach Verlängerung besiegte Deutschland den krassen Außenseiter – dank der Treffer von Schürrle und Özil. Gerade in der ersten Hälfte offenbarte die DFB-Elf eklatante Defensivschwächen und konnte sich beim überragenden Keeper Neuer bedanken, nicht in Rückstand zu liegen. Aufstellung Neuer – Mustafi (70. Khedira), Mertesacker, Boateng, Höwedes – Lahm – Schweinsteiger (109. Kramer), Kroos – Özil, Götze (46. Schürrle) – Müller.

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