Fan-Proteste beim Spiel SC Karlsruhe gegen RB Leipzig – Grenzen überschritten Foto: Bongarts

Die Hasstiraden auf Fußball-Zweitligist Red Bull Leipzig werden immer schlimmer. RB-Sportdirektor Ralf Rangnick und seine Elf wurden beim Gastspiel in Karlsruhe massiv bedroht und beleidigt. Der Backnanger Fußball-Lehrer fordert einen Maßnahmen-Katalog gegen die Rowdies und härtere Strafen.

Stuttgart - Auf den ersten Blick ist es ein Widerspruch, der selbst Salomo an die Grenzen seines Urteilsvermögens getrieben hätte. Auf der einen Seite ist der Profifußball ein Wirtschaftszweig von wachsender Bedeutung. Andererseits ist er ein Volkssport mit kulturellen Werten, eines der letzten unverfänglichen Massenereignisse unserer Zeit. Aber wie immer im Leben, wird es dann schwierig, wenn sich die Glaubensbrüder der einen oder anderen Richtung mit ihren Ideologien unversöhnlich gegenüberstehen.

Was dann passieren kann, erlebt seit Jahren RB Leipzig. Als schickten die vom Getränke-Giganten Red Bull großzügig gesponserten Sportsfreunde den Leibhaftigen aufs Feld, hagelt es Hasstiraden, wo immer sie auftreten.Wie jetzt im Zweitligaduell gegen den Karlsruher SC (0:0). Für RB-Sportdirektor Ralf Rangnick ist es der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: „Das war eine neue Dimension von Auswüchsen, die wir uns so nicht gefallen lassen dürfen.“ Der Backnanger Fußball-Lehrer fordert einen Runden Tisch mit Deutscher Fußball-Liga (DFL) und Deutschem Fußball-Bund (DFB). „Wir müssen Gegenmaßnahmen ergreifen“, sagt Rangnick, „dazu gehören auch härtere Strafen.“

„Reine Werbeträger des Marketingkonstrukts“

Schon vor dem Spiel hatten anonyme Briefeschreiber „reine Werbeträger des Marketingkonstrukts“ aus Leipzig vor einer Reise nach Baden gewarnt. „Ist es wert, seine Seele zu verkaufen, nur um attraktiven Fußball zu sehen?“ Am Tag vor dem Spiel stürmte eine 20-köpfige Horde wildgewordener KSC-Sympathisanten das Teamhotel von RB Leipzig. Als der Hotelier die Polizei alarmierte, zogen die Protestierer gegen das angebliche Symbol der Kommerzialisierung des Fußballs unter wüssten Beschimpfungen wieder ab. „Zum Glück waren die Spieler auf ihren Zimmern“, sagt Ralf Rangnick.

Während der Partie demonstrierten KSC-Fans ihre Abneigung gegen die bedrohte Art aus Sachsen mit Transparenten wie: „Ralf Rangnick. Hure des Profifußballs.“ Erst nach Mitternacht konnte der Tross von RB Leipzig das Wildparkstadion wieder verlassen. KSC-Rowdies hatten die Ausfahrt blockiert. Rangnicks Wagen wurde mit Farbbeuteln beworfen, Fäuste trommelten aufs Dach. „Mich schockt ja so schnell nichts“, sagt der RB-Sportchef, „aber das Ausmaß dieser Exzesse hat mich schon überrascht.“

So ähnlich erging es wohl auch den Verantwortlichen des Karlsruher SC. Die Badener dokumentierten jedenfalls eindrucksvoll, wie schwer sich die Liga-Konkurrenten im Umgang mit den Machtdemonstrationen von Teilen der Fans tun. Als Leipzigs Diego Demme sein Trikot mit KSC-Profi Philipp Max tauschte, forderten empörte KSC-Fans die Rückgabe des RB-Shirts an die Leipziger. KSC-Sportchef Jens Todt lehnte ab: „Das kommt nicht infrage.“

Beim Anblick des RB-Leibchens johlt die Menge

Was den Sicherheitsbeauftragten des KSC herzlich wenig interessierte. Er holte das RB-Leibchen kurzerhand aus der Kabine und präsentierte es der johlenden Menge. Später entschuldigte er sich. Angeblich wollte er mit der Rückholaktion die Situation entspannen. So wie der VfB Stuttgart, der vergangenen Sommer ein Testspiel gegen RB Leipzig hasenfüßig platzen ließ, weil Teile der Fans protestierten. Die Anarchie bricht sich Bahn.

Und mehr denn je stellt sich die Frage: Haben die Clubs Angst vor den eigenen Fans? Sind sie noch in der Lage, die Extremen unter ihnen zu disziplinieren? Neulich, während des Spiels bei Erzgebirge Aue, entrollten einheimische Fans ein Plakat, das Red-Bull-Chef Ulrich Mateschitz mit Adolf Hitler verglich. Vor Tagen wurde ein Jugendcamp von RB Leipzig in Halle/Saale abgeblasen, weil in den sozialen Netzwerken dazu aufgerufen wurde, das dortige Sportgelände zu zerstören. Andreas Silbersack, Chef des Landessportbundes Sachsen-Anhalt, bezeichnete die Absage als „Kapitulation vor Chaoten“. DFB-Vizepräsident Rainer Milkoreit spricht von einem „Kesseltreiben“, das beendet werden müsse.

Ralf Rangnick rät, sich im Zweifelsfall ein Beispiel an England zu nehmen. Dort sind die Eintrittskarten personalisiert, die Stehplätze wurden abgeschafft.

Ist es das, was die Anhänger der reinen Fußball-Lehre wollen?