VfB-Stürmer Filip Kostic: Es wird immer enger Foto: Baumann

Jetzt hilft kein Taktieren mehr. Nach der 1:3-Niederlage beim VfL Wolfsburg fehlen dem VfB Stuttgart fünf Punkte zum rettenden Ufer. Und jetzt kommen die Gegner auf Augenhöhe. Schicksalsspiele!

Stuttgart - Sieben Spieltage vor Schluss braucht es keinen Volkshochschulkurs in Mathematik mehr, um sich in etwa auszurechnen, wie die Gleichung im Kampf gegen den Abstieg noch aufgehen könnte: Der VfB Stuttgart sollte die vier Auftritte im eigenen Stadion nach Möglichkeit siegreich gestalten. Obendrein wäre es ganz hilfreich, auch bei den drei Gastspielen auf fremden Bühnen noch den einen oder anderen Zähler einzufahren.

Das hört sich nicht so an, als müssten die Berufsfußballer vom Cannstatter Wasen die Mitternachtsformel neu erfinden, aber der schlichte Dreisatz hilft mit fünf Punkten Rückstand auf den einen Nichtabstiegsrang auch nicht mehr weiter. Denn die Vertreter des württembergischen Fußballstolzes grüßen nach dem 1:3 (1:1) beim VfL Wolfsburg unverändert vom Tabellenende. Hoffen, bangen, rechnen: Der Endspurt der Saison entwickelt sich zum Drama. Und es deutet eher wenig darauf hin, dass sich dabei so schnell etwas zum Guten wenden könnte.

„Tsss“, machte Huub Stevens und presste die Luft durch die Zähne, „es wird immer enger und enger.“ Aber der Niederländer hält wenig davon, die Tabelle so lange zu schütteln, bis noch etwas Hoffnung rauspurzelt. Viel lieber widmet er sich dem Spiel seiner Schutzbefohlenen, die beim Tabellenzweiten VfL Wolfsburg zumindest 45 Minuten so spielten, als hätten sie das Kicken nicht komplett verlernt. Filip Kostic wäre diesbezüglich zuallererst zu nennen. Der Stürmer lieferte seine bisher stärkste Nummer im weiß-roten Trikot, versemmelte aber eine gute Tormöglichkeit vor der Pause.

Weil es im Zirkus Maximus aber nicht reicht, im Stil einer Teilzeitkraft nach dem Erfolg zu streben, stand es am Ende 1:3 – und wieder wurde offenbar, wie weit sich der VfB Stuttgart in den Jahren seit der Meisterschaft 2007 von dem entfernt hat, was heutzutage erforderlich ist, um im Kräftemessen der Eliten einigermaßen Schritt halten zu können: Technik, Tempo, Raffinesse. „Die Wolfsburger konnten noch eine Schippe drauflegen“, fasste Stevens das Geschehen zusammen, „wir nicht.“

Oriol Romeu fungierte unter diesem Aspekt nur als Symbol für den Rest der Mannschaft, als er nach seiner Einwechslung (58.) für den gelb-rot gefährdeten „Krieger“ (Geoffroy Serey Dié) im Vergleich zu Kevin de Bruyne so dynamisch wirkte wie eine Parkuhr vor der Stuttgarter Markthalle. Das Foul des Spaniers und der nachfolgende Freistoß führten zum 1:2, wodurch bei den Wölfen die Leichtigkeit ins Spiel zurückkehrte und den VfB-Spielern Klötze an den Beinen wuchsen.

Nun träufeln Stevens und die Seinen ihren sportlichen Pflegefällen die Tröpfchen des Zaubertranks ein, den sie aus den ersten 45 Minuten saugen, während denen sich der VfB Stuttgart auf mittelmäßigem Niveau stabilisierte.

„Darauf werden wir aufbauen“, wiederholt Stevens die Platte, die Trainer in solchen Situationen immer mal wieder auflegen. Ein bisschen mehr Musik ins VfB-Spiel könnte jedenfalls durch Abwehrhüne Antonio Rüdiger kommen, der nach seiner Knieoperation 77 Minuten bei der U 23 spielte und am Sonntag nach dem Auslaufen meldete: alles gut. Und wenn alles gutgeht, kann sogar Mittelfeldmann Daniel Didavi in den kommenden Wochen noch mit ins Geschehen eingreifen. Selbst Mohammed Abdellaoue rückt wieder ins Blickfeld der sportlichen Leitung – als Bank-Ersatz etwa für den Torjäger a. D. Vedad Ibisevic, der nach Meinung der Beobachter unverändert mit zwei linken Beinen trainiert.

Ob das alles zu viel ist, um zu sterben, aber zu wenig, um zu überleben, werden die kommenden Wochen zeigen, wenn es zum nervenzerfetzenden Kräftemessen gegen jene Gegner kommt, die vermeintlich auf „Augenhöhe“ (Daniel Ginczek) mit dem VfB agieren. Der Hamburger SV wäre da in erster Linie zu nennen, der SC Paderborn und vielleicht noch der SC Freiburg oder Hannover 96. „Wir sind psychisch stark“, beteuert Robin Dutt und richtet den Blick auf das Duell am Sonntag gegen den SV Werder Bremen (17.30 Uhr/Mercedes-Benz-Arena). „Ich denke, da werden wir unseren Dreier machen.“

So oder so bleibt es ein Jammer: Nach Jahren des schleichenden Niedergangs steht der VfB Stuttgart vor seinen Fans wie der Starrköpfige im schiefen Hemd, der vom Kragen abwärts falsch weiterknöpfte – immer in der Überzeugung, es werde sich am Ende schon noch irgendwie richten. Und jetzt, da die neue Führungsmannschaft endlich begonnen hat, den verstaubten Kleiderschrank neu zu ordnen, droht die Angelegenheit weit schlimmer zu enden.

Ohne Hemd und ohne Hose.