HSV-Stürmer Nicolai Müller, Kreuzbandriss: Dumm gelaufen Foto: Bongarts/Getty

Schon der erste Spieltag zeigt: Erfolg kann man planen, der Mensch bleibt unberechenbar. Eine Erkenntnis, die beruhigt.

Stuttgart - Es zählt zu den schönen Seiten des Fußballs, dass Menschen erst Tore schießen und sich dann darüber freuen. Und weil in bewegten Bildern am längsten zu sehen ist, wer sein Erfolgserlebnis am eindrucksvollsten inszeniert, hat sich im Lauf der Jahrzehnte eine Jubel-Kultur entwickelt, die choreografisch nicht immer überzeugt, aber die Glückshormone der Betrachter mehrt. Schon am ersten Spieltag demonstrierte sie vielerorts ihren Unterhaltungswert.

Gerd Müller, besser unter dem Namen „Bomber“ bekannt, pflegte seine Treffer mit einem kleinen Hupfer zu würdigen. Dann lief er, ohne sich das Trikot vom Leib zu reißen, unaufgeregt auf dem kürzesten Weg zurück zum Anstoßpunkt. Was in mehrfacher Hinsicht von Weitsicht zeugte: Er war ja mit nur einem Tor nie zufrieden. Er lief nicht Gefahr, sich mit nacktem Oberkörper im zugigen Stadion zu erkälten oder unter ekstatisch feiernden Bergen aus Leibern menschlichen Leibern um Atem zu ringen. Außerdem sparte er mit dem Jubel light seine Kräfte. Allein in seinen 25 Jahren für den FC Bayern München traf er 398 Mal ins Schwarze. Der Bomber war ein Schlager: „Dann macht es bumm, ja und dann kracht’s und alles schreit: der Müller macht’s. Dann macht es bumm, dann gibt’s ein Tor und alles schreit dann: Müller vor!“

Den Torjubel in gelungene Relationen zu kulturellen Gepflogenheiten zu setzen, gelang endgültig aber erst Roger Milla. Der Löwe aus Kamerun bat während der Weltmeisterschaft 1990 mehrfach die Eckfahne zum Tänzchen. Die zeigte sich zwar ungerührt, aber das Publikum raste. Millas Hütschwung ließ jahrelanges Training in finsteren Etablissements erahnen.

Es war die Geburtsstunde spektakulärer Kung-Fu-Einlagen an der Ecke und eingeübter Gruppentänzchen vor der Haupttribüne. Die Grenze des gute Geschmacks schien allerdings erreicht, als Dortmunds Stürmer Marco Reus und Pierre-Emerick Aubameyang nach einem Treffer die Masken zweier Comic-Helden überstülpten: Batman und Robin. Die Erklärung der beiden: „Wir versuchen immer, ein bisschen Spaß reinzubringen.“

Zwar ohne Taucherbrille, aber mit Mutterwitz, sorgte Jürgen Klinsmann in der englischen Premier League für Aufsehen. Sein Diver war die Antwort auf den Vorwurf der englischen Presse, er tauche im Strafraum bei jeder kleinen Berührung ab. Klinsmann kreierte eine Art eingesprungenen Bauchplatscher mit einhergehender Rasendünger-Geschmacksprobe.

Dass die motorische Grundausbildung als Turner im Leben eines Fußballers nützlich sein kann, belegte Miroslav Klose. Sein Jubel-Salto, gegen jeden Rat des Vereinsarztes, findet bis heute auch weniger begabte Nachahmer. Es ist eben so, wie der Lachmuskel-Coach Karl Valentin schon sagte: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“

Die komische findet sich seit Jahren vorzugsweise bei der Hamburger SV Fußball AG. Investor Klaus-Michael Kühne hatte seine „Luschen“ ja gewarnt: Der Club befinde sich auf „der falschen Chaussee“. Wir ahnen deshalb zwar, was in dem Sportsfreund Nicolai Müller nach seinem Treffer vorgegangen sein könnte, aber der Rittberger wurde nun mal für den Eiskunstlauf erfunden. Jetzt kommt Müller zwar der Verdienst zu, mit dem exzessiv umjubelten Siegtor gegen den FC Augsburg (1:0) die Hanseaten zum Saisonbeginn vor allerlei Ungemach bewahrt zu haben, andererseits ist ein Kreuzbandriss im Knie auch nichts, worüber ein Fußballprofi glücklich sein könnte.

Nach der Saison-Ouvertüre bleibt die beruhigende Erkenntnis: Erfolg lässt sich vielleicht planen, aber der Faktor Mensch bleibt unberechenbar.