„Pormetheus“-Studie von Johann Heinrich Füssli Foto: Kunsthaus Zürich

Kann das gutgehen: die mythologisch aufgeladenen Bildwelten des großen Schweizer Malers Johann Heinrich Füssli und die psychologisch abgründigen Videowelten des Venezolaners Javier Téllez ­in Dialog zu bringen? Zürichs Kunsthausdirektor Christoph Becker wagt es – und gewinnt.

Die Story liest sich, als wäre sie heute passiert: Ein Menschenfreund, der ein Herz für Zu-kurz-Gekommene hat, legt sich mit anmaßenden Herrschern an, schreckt zugunsten seiner Schützlinge auch nicht vor Raub zurück, wird aber zur Strafe in Ketten geschmiedet und täglich grausam gefoltert. Unser Held ist, klar, Prometheus, der uns das Feuer brachte und damit die Götter herausforderte. Als olympisches Feuer brennt es noch immer.

Im Kunsthaus Zürich widmet sich jetzt die Ausstellung „Die Fackeln des Prometheus“ dem folgenreichen antiken Mythos. „Einmal entzündet, lässt sich das Prometheus-Feuer kaum mehr unter Kontrolle bringen“, spielt Bernhard von Waldkirch auf die Fortschrittsdynamik an, die dem Element innewohnt. Er hat die Ausstellung mit Arbeiten von Johann Heinrich Füssli (1741– 1825) und einer Filminstallation des venezolanischen Künstlers Javier Téllez (geboren 1969) zusammen mit Mirjam Varadinis kuratiert.

Trotz ihres geringen Umfangs nimmt die anlässlich der Züricher Festspiele 2014 organisierte Gegenüberstellung eines Zeitgenossen mit dem „bedeutendste(n) Schweizer Künstler zwischen Aufklärung und Romantik“ (Kunsthaus-Direktor Christoph Becker) mit unerwarteten Querbezügen für sich ein.

Der aus musischer Familie stammende gebürtige Züricher Johann Heinrich Füssli studierte zunächst Theologie. Nebenbei sog er wie ein Schwamm literarische Klassiker von Homer bis Rousseau in sich auf. Von patriotischer Empörung und Ideen der Aufklärung inspiriert, verfasste er mit Johann Caspar Lavater zusammen ein Pamphlet gegen den Landvogt Felix Grebel, woraufhin er Zürich den Rücken kehren musste. Seine spitze Feder mit dem Pinsel zu tauschen, riet ihm Joshua Reynolds in London, wohin Füssli 1765 übersiedelte, ehe er von 1770 an fast ein Jahrzehnt in Rom verbrachte und Michelangelos Fresken auf sich wirken ließ. Dort eignete er sich spielerisch auch die Bewältigung von „Fünf-Punkte-Männerakten“ an. Fünf willkürlich festgelegte Punkte schrieben die Positionen von Kopf, Händen und Füßen vor, die anatomisch korrekt zur Figur ergänzt wurden. aber oft verquälte Stellungen zur Folge hatten.

Bequem liegt auch Prometheus nicht, wie das in Zürich im Mittelpunkt stehende Ölgemälde „Herakles erlegt den Adler des Prometheus“ zeigt. Zu fast x-förmiger Hieroglyphe stilisiert, in Rückenlage, kopfunter und dicht am Abgrund, der ihn von seinem Retter trennt, bietet der nackte Halbgott ein jämmerliches, mit weit gespreizten Beinen aber auch zweideutiges Bild. Nicht lange vor Füsslis berühmtem Skandalbild, dem „Nachtmahr“, 1781 bis 1785, konzipiert, vermitteln beide Werke unterschwellige Erotik, als habe es der libertäre „wilde Schweizer darauf angelegt, komplementär zum Nachtmahr, die eigenen homoerotischen Fantasien sowie die seines Publikums zu parodieren und auf ihre Salonfähigkeit zu testen“ (Bernhard von Waldkirch).

Auch die im Nachbarraum gezeigte Filminstallation „Rotations“ von Javier Telléz, der in der psychiatrischen Praxis seiner Eltern aufwuchs, stellt Normalität beziehungsweise ihr vermeintliches Gegenteil auf die Probe. Raumhoch an die Wand projizierte Skulpturen bewegen sich perfekt synchron abgestimmt, aber in entgegengesetzter Richtung um ihre eigene Achse.

Die Kamera studiert die jeweiligen Körper aus nächster Nähe, wandert auf und ab, geht über zur Totalen und kehrt zu hautnahen Ausschnitten zurück. Links reckt ein Fackelträger den muskulösen Arm empor und imponiert mit seinem makellosen, lässig präsentierten Body. Es handelt sich um Arno Brekers „Prometheus“, der für Nationalsozialisten das „Vollkommenste, Fertigste und Beste (verkörperte), was deutsche Kunst (zu) vollbringen vermag“.

Rechts staunt man über einen „Zwitter“, den außer weiblichen Merkmalen ein riesiger Phallus kennzeichnet. Die fantastische Figur demonstriert idealtypisch, was im Dritten Reich von „entarteter Kunst“ und vom „Kulturzerfall“ befürchtet wurde. Es ist eine nur wenige Zentimeter große, rostrot bemalte Holzskulptur von Karl Genzel. Unter dem Pseudonym Karl Brendel zählte er zu den „Meistern der Prinzhorn-Sammlung“.

Von den Nationalsozialisten wurde Brendels „Zwitter“ abschreckend als „Arbeit eines unheilbar irrsinnigen Mannes in der psychiatrischen Klinik in Heidelberg“ vorgestellt. Jetzt in Zürich durch die Projektion auf „Augenhöhe“ mit Brekers „Prometheus“ vergrößert, stellt sie mit ihrer archaisch-primitiven, ihrer Schrecken inzwischen aber ledigen Ästhetik den Schönling in den Schatten.