Nach etwa drei Monaten werden von neuen Managern meistens erste Erfolge erwartet - aber eine neue Führungskraft braucht Zeit.

100 Tage werden einem politischen Amtsinhaber zugestanden, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Danach kommt es zu einer ersten Bewertung seiner Leistung. Diese Faustregel gilt seit den Zeiten des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der während der Weltwirtschaftskrise gewählt worden war und um eine Schonfrist von 100 Tagen bat, nach denen die Wirkung seines Reformprogramms, dem New Deal, erkennbar werden sollte. Was wenige Führungskräfte wissen: Auch in der Wirtschaft gibt es eine 100-Tage-Frist.

In vielen Unternehmen, vornehmlich in großen und börsennotierten, ziehen Kon-trollgremien und Vorgesetzte nach gut drei Monaten eine erste Zwischenbilanz. Wie haben sich unter dem neuen Geschäftsführer die Umsätze und Kosten entwickelt? Hat der neue Vorstand die Organisation gestrafft? Ist die anvisierte Auslandsexpansion vom neuen Vertriebschef schon angeschoben worden? Wenn Manager in einem Unternehmen relativ schnell scheitern, sind oft bereits früh Fehler gemacht worden. In der Vergangenheit wurden scheiternde Neubesetzungen fast ausschließlich darauf zurückgeführt, dass das Leistungsspektrum und das Persönlichkeitsprofil des Kandidaten im Detail doch nicht zu den Positionsanforderungen gepasst haben.

Der Manager reagiert mit Aktionismus

Ergo: Man muss lediglich den Besetzungsprozess verbessern. Doch an diesem muss es tatsächlich gar nicht liegen. Es gibt andere Ursachen: Da ist zum Beispiel das Gefühl von Zeit. Ein Aufsichtsratsgremium ist zwar bereit, einem neuen Stelleninhaber Zeit für die Akklimatisation im Unternehmen zu geben. Doch für sie sind 100 Tage gefühlt viel länger als derselbe Zeitraum für einen operativen neuen Manager, auf den in der Anfangszeit viele Themen und Eindrücke einstürzen. Fragen von 'oben' nach ersten Erkenntnissen oder Fortschritten setzen die Führungskraft unter Handlungszwang. Der Manager reagiert mit Aktionismus, will Erfolge erzwingen, legt imposant klingende Pläne auf den Tisch. 'Das aber sind keine guten Voraussetzungen, um ein Rennen zu gewinnen', sagt Dr. Frank Döring von der Personalberatung Rochus Mummert.

'Der grundsätzliche Fehler liegt im Überspringen einer unabdingbaren menschlichen, kulturellen und fachlichen Sozialisierungsphase, die einhergeht mit Vertrauens-, Wissens- und gegenseitigem Respektaufbau.' Ein neuer Manager braucht Zeit. Es geht um die Entdeckung der Langsamkeit. 'Um die 100-Tage-Falle zu vermeiden, ist zuallererst der Manager selbst gefordert', erläutert Döring. 'Er muss jeden Tag reflektieren, was er genau macht, und dann eventuell ganz bewusst lieber auf die Bremse treten, statt ständig mit neuen Aktionen nach vorn zu preschen.' Auf den ersten Metern in eine neue Führungsposition gehe es weniger um handeln, als vielmehr darum, zuzuhören. Der Neue müssen aufnehmen, sich mit Personen, Märkten und Produkten beschäftigen.

Ideen sollte er besser zuerst im Stillen verifizieren. In der Kommunikation mit seinem Aufsichtsrat sollte der neue Manager nach Überzeugung von Döring versuchen, einen persönlichen Eindruck zu hinterlassen: 'Schließlich möchte dieser ihn auch als Menschen kennenlernen. Wer am Anfang nur formalistisch mit dem Aufsichtsrat kommuniziert, darf sich nicht wundern, dass man, wenn es darauf ankommt, nicht verstanden oder missinterpretiert wird.' Und dann? Frank Döring: 'Ein erfolgreich integrierter Manager hat nach einigen Monaten ein internes Netzwerk zu maßgeblichen Zielgruppen - intern und extern - aufgebaut, erhält Vorschläge und Kritik mehr oder weniger im Klartext aus verschiedenen Ebenen, kann sich so vor sich selber schützen, aber auch gute Ideen der Organisation identifizieren und fördern.' Der Manager solle weniger peitschender Treiber sein, als vielmehr als Coach, Gestalter und Motivator fungieren.

Jede Organisation hat smarte Potenzialträger

Ein Team mit einem solchen Leader könne schnell 'immer schlagkräftiger werden und beginnen, sich selbst weiterzuentwickeln'. Solche Unternehmen würden am Ende viel schneller dynamische Veränderungen und nachhaltige Erfolge zeitigen. Döring: 'Executives, die zunächst genau beobachten und sich intensiv mit ihren direkten Mitarbeitern beschäftigen, können besser analysieren. Das hilft auch bei der Besetzung der Stellen.' Jede Organisation habe smarte Potenzialträger, die unter ihren Möglichkeiten arbeiten, unfähige, unwillige, stille graue Eminenzen, heilige Kühe, wichtige Schlüsselpersonen, Bewahrer und Innovatoren. Da niemand mit einem entsprechenden Schild herumläuft, gilt es, diese Klassifizierung zügig für sich selber zu erarbeiten und dann auch schnell und konsequent zu handeln.'

Fazit: Aufsichtsräte und Gesellschafter sollten neue Führungskräfte zu anfänglicher Langsamkeit ermuntern. Sie sollten sich mit ihrem Urteil Zeit lassen, ob ein neuer Vorstand, Geschäftsführer oder Abteilungsleiter sein Geld wert ist oder nicht. Umgekehrt sollte der neue Chef oder die neue Chefin schon vor Amtsantritt klarmachen, dass eine kurzfristige, auf 100 Tage ausgerichtete Sichtweise nicht seinem beziehungsweise ihrem Führungsstil entspricht. Rochus Mummert-Personalfachmann Döring: 'Aus meiner Erfahrung gehen die meisten Aufsichtsräte - und zwar sowohl von der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmerseite - diesen Weg gern mit. Der Neue muss sie nur rechtzeitig mit ins Boot holen.'