Otto-Dieter Widmaier (Mitte) wandert mit seinen Zuhörern durch die jahrhundertelange Geschichte der Stiftskirche. Foto: Wenke Böhm

Die Stiftskirche gehört mit ihren unterschiedlichen Türmen zu Stuttgarts Wahrzeichen. Wir waren mit Dieter Widmaier dort auf Erkundungstour.

Viel Zeit zum Verweilen gönnt Otto-Dieter Widmaier sich nicht. „Wir haben nur 30 Minuten, und die sind ganz schnell vorbei“, sagt er zu den Zuhörern in seinem Schlepptau. Mit wenigen Stationen und Worten will er ihnen die Stiftskirche nahebringen, die für die Bewohner der Landeshauptstadt ein Stückchen Heimat ist.

Los geht es im Kirchenraum. Widmaier deutet auf die großen, farbenfrohen Chorfenster. „Sie zeigen das Leben Jesu.“ Betrachtet man Bilder aus der Zeit zwischen den Weltkriegen, sind sie weniger farbenfroh. Erst beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie neu gestaltet. Der große Christus am Kreuz unter der Decke sei zwar älter, aber glücklicherweise noch nicht vor dem Krieg aufgehängt worden.

In der Kapelle ist die Grabplatte des Grafen Ulrich

Wo heute moderne Glassegel an die gotische Kirche erinnern sollen, befand sich früher eine hölzerne Tonnendecke. Sie habe aus statischen Gründen weichen und der modernen Konstruktion Platz machen müssen, berichtet Widmaier. Dann wendet er sich nach links, zu den Lettner-Figuren an den Wänden seitlich hinter dem Altar. Sie entstanden um 1495 und erzählen die Weihnachtsgeschichte. Maria ist hier nicht mit Babybauch abgebildet, vielmehr ist die Frucht ihres Leibes als symbolische Figur auf ihrem Körper zu erkennen. „Die Figuren stammen aus einer Zeit, als viele Menschen noch nicht lesen konnten“, erklärt der ehrenamtliche Experte.

Was ein Stift sei, möchte ein Zuhörer wissen. Widmaier erzählt von den für kirchliche Zwecke vorgesehenen Stiftungen und der Rolle der Gönner – eine perfekte Überleitung zur Stifterkapelle rechts und zum dahinter liegenden Chorraum. In der Kapelle befinden sich die überlebensgroßen Grabplatten des „Grafen Ulrich mit dem Daumen“ und seiner zweiten Frau Agnes. Ulrich war der Stifter des Chorherrenstifts Beutelsbach. Er gilt als großer Förderer der Stadt Stuttgart und der württembergischen Hausmacht.

Der letzte Gang führt die Besucher unter die Erde

Im Chor sind links elf Grafen-Standbilder zu sehen, die Bildhauer Sem Schlör von 1576 an gefertigt hat. Zu ihnen zählen beispielsweise Graf Ulrich I., der Stifter, (gestorben 1265) und Eberhard I., der Erlauchte, (gestorben 1325). Zu sehen ist im Chor außerdem die spätgotische „Goldene Kanzel“, die um 1460 entstand.

Der letzte Gang führt die Besucher unter die Erde. Hier können sie anhand alter Mauerreste die Geschichte des bedeutenden Stuttgarter Kirchenbaus nachvollziehen. So sind dort Überreste einer kleinen, frühromanischen Kapelle sichtbar, die im 10. oder 11. Jahrhundert auf den Resten eines alemannischen Gräberfelds errichtet wurden. 1245 ließ Graf Ulrich I., der Stifter, eine dreischiffige romanische Basilika errichten. Diese wird 1436 dann durch eine spätgotische Hallenkirche ersetzt. 1534 führt Herzog Ulrich schließlich die Reformation ein. Im Mai desselben Jahres wird die erste öffentliche evangelische Predigt im Herzogtum Württemberg auf der Kanzel der Stiftskirche gehalten.