Das sogenannte deutsche Häubchen war ein weit verbreiteter, traditioneller Kopfschmuck. Foto: Michael Steinert

Religion, Herkunft und Familienstand: Informationen, die heutzutage beim Small Talk herausgekitzelt werden müssen, wurden früher durch die Kleidung vermittelt. Und das ist noch nicht alles, was Trachten über ihre Träger verraten.

Bad Cannstatt - Reich bestickt und mit Spitze verziert, kommen sie heute in allen erdenklichen Farben daher, vor allem aber garniert mit einem tiefen Ausschnitt und sind von Volks- und Frühlingsfest nicht mehr wegzudenken: die Dirndl. Doch das war nicht immer so. „Das Dirndl war ursprünglich die Arbeitskleidung der bayerischen Frauen“, sagt Dorothea Brenner. Optisch gar nicht so sehr unterscheidet sich davon das württembergische Häs, das es allerdings entweder seines weniger schönen Namens oder der allgemeinen Zurückhaltung der Schwaben wegen nie zu dieser Berühmtheit gebracht hat. Mit Tracht wird heute fast automatisch die bayerische Variante verbunden. „Heute steht der Begriff für Kleidung aus der Vergangenheit. Eigentlich ist es aber nur ein altes Wort für Kleidung“, sagt Brenner. Sie ist mit Trachten aufgewachsen, trägt sie bis heute zu besonderen Anlässen gern und hat auch den wissenschaftlichen Hintergrund: einen Magister in Kulturwissenschaft und Neuerer Geschichte mit Schwerpunkt Landeskunde hat die Fellbacherin, die sich nicht nur im Trachtenverband Baden-Württemberg engagiert, sondern auch das Trachtenmuseum in Pfullingen mit betreut.

Trachten spiegeln Modetrends wider

Kleidung spiegelt Modetrends wider

„Wir stellen echte Lebenskleidung aus“, sagt Brenner. Alle Stücke in der ehemaligen Mühle am Flüsschen Echaz stammen aus Privatbesitz, die meisten aus dem 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert, einige sind aus dem 18. Jahrhundert. „Trachten sind Teil der Geschichte“, sagt Brenner. Es sei deshalb schade, dass Trachten fast überall auf der Welt einen höheren Stellenwert hätten als in Westeuropa, wie sie bei zahlreichen Symposien im Ausland gelernt hat.

Dabei spiegelten sich in der Kleidung Modetrends wider: So habe sich der Goller – ein Kragen – ursprünglich entwickelt, weil der Ausschnitt mancher Kleider für den Kirchgang zu tief gewesen sei. Der Goller avancierte zum Accessoire, wurde aus unterschiedlichen Materialien und in verschiedenen Farben gefertigt. Einen weißen Goller zu langen Faltenröcken in dunklen Farben etwa schauten sich die Damen von der spanischen Hofmode ab.

Im Lauf der Geschichte wurden Trachten bequemer für ihre Trägerinnen: Waren im Barock die Mieder noch geschnürt, wurden diese im Rokoko nur noch angedeutet. Schick waren damals Schleifchen, Seidenbänder, während im Biedermaier die Kleidung hochgeschlossen war.

Schlüsse auf Region und Religion

Auch auf Region und Religion lassen sich aufgrund der Kleidung Rückschlüsse ziehen: „Katholische Trachten waren meist farbenfreudiger als evangelische“, sagt Brenner. Doch auch im pietistischen Echterdingen etwa trug man eine rotes Mieder. Dies war generell eher den jungen Frauen vorbehalten.

Der Bollenhut wurde nur in drei Ortschaften getragen

Der Bollenhut – durch die Werbung wohl das bekannteste Stück württembergischer Tracht – wurde ursprünglich nur in drei Ortschaften im Schwarzwald getragen. Verbreiteter waren Hauben oder Schapeln, die mit zwei langen Bändern unter dem Kinn gebunden wurden und dem Anlass entsprechend entweder schlicht gehalten oder aufwendig bestickt und verziert sein konnten. Die Männer zeigten sich wie heute auch einheitlicher als die Frauen: „Typisch für Württemberg waren eine rote Weste und eine lange weiße oder gelbe Lederhose“, sagt Brenner. Häufig brachten die Männer ihre Kleidung vom Militär mit und trugen sie selbst oder vererbten sie so lange, bis die Stücke auseinander fielen. Von der Farbe der Lederhose lässt sich auch auf deren Herstellungsdatum schließen, weil sich Färbetechniken erst im Lauf der Zeit entwickelt haben.

Doch es gab über die Kleidung noch mehr über die Personen herauszufinden als Herkunftsort und Religion: „Die weiße Schürze war zum Beispiel ausschließlich Unverheirateten vorbehalten“, sagt Brenner. Lange Zeit war übrigens auch die Braut in Württemberg schwarz gekleidet, während die Brautjungfern helle Trachten trugen. Beim Hochzeitsfest durften nur Unverheiratete das Tanzbein schwingen. Dass die meist wadenlangen Trachten übrigens auch ihr Reize hatten, sei am Rande erwähnt: „Vereinzelt noch bis in die 70er Jahre trugen Frauen keinen Schlüpfer, sondern eine lange Bluse unter dem Häs, die bis zu den Waden reichte.“