Tränen der Enttäuschung: Anja Mittag liegt am Boden. Foto: AFP

Erstmals in der EM-Geschichte scheiden die deutschen Fußball-Frauen im Viertelfinale aus. Nach dem 1:2 gegen Dänemark hadern die Spielerinnen damit, dass das Spiel wegen heftiger Regenfälle abgesagt wurde. Jammern hilft der DFB-Elf aber nicht weiter, kommentiert unsere Redakteurin Eva Hammel.

Stuttgart - Es gibt sie tatsächlich: Frauenversteher. Julian Nagelsmann ist einer von ihnen. „Frauenfußball ist ein brutal ehrlicher Sport. Frauen heulen viel weniger rum, die liegen nie am Boden“, sagte der Trainer des Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Auf dem Platz mag das die Wahrheit sein, doch kaum sind die 90 Minuten rum, ist das Jammern groß. Und nicht nur wegen des 1:2 der deutschen Fußballerinnen gegen Dänemark und des überraschenden Aus im Viertelfinale bei der EM in den Niederlanden.

Zu gering sei die Aufmerksamkeit, zu unfair, dass die kickenden Herren einiges mehr verdienen und die immer wiederkehrenden Machosprüche sind bei den Spielerinnen so beliebt wie Eigentore. Dabei brauchen sich die DFB-Frauen nicht zu verstecken. Frauenfußball fasziniert die Massen. Die Vorrundenspiele der deutschen Elf lockten jeweils zwischen 5,5 und mehr als sieben Millionen Zuschauer vor die Fernseher. Selbst am Samstagabend harrten im Schnitt 3,82 Millionen Zuschauer aus, bis das Spiel endgültig abgesagt wurde.

Andere Sportarten wären dankbar für die Aufmerksamkeit.

Natürlich ist das im Vergleich zum Team von Joachim Löw bescheiden – selbst das Confed-Cup-Finale gegen Chile sahen 14,69 Millionen Zuschauer. Doch so wenig die Fußballerinnen auf dem Platz mit den Männern verglichen werden wollen, sollten sie es daneben tun. Andere Sportarten wären dankbar für die Aufmerksamkeit, die den deutschen Fußballerinnen zuteil wird. Bei der WM der Handballer Anfang des Jahres sahen die Sportfreunde in Deutschland ganz in die Röhre, im Free-TV wurden die Spiele erst gar nicht übertragen. Und Europameister aus anderen Sportarten dürfen sich neben einer Medaille höchstens noch über einen Blumenstrauß freuen. Prämien vom Verband sind Fehlanzeige. Die Fußballerinnen hätten für den EM-Titel jeweils 37 500 Euro kassiert – so viel nie zuvor.

Natürlich sind die Strukturen des im Vergleich noch jungen Sports Frauenfußball noch nicht in allen Bereichen eingespielt. Natürlich muss vieles noch besser werden. Doch Spielerinnen, Trainer, Betreuer, aber auch Fans von Königin Fußball sollten ihre Energie lieber dafür verwenden, den eigenen Sport weiterzuentwickeln. Gerade jetzt, nachdem die Mannschaft erstmals seit 30 Jahren bei einer EM nicht im Halbfinale steht.

Kritische Worte will keiner hören

Kritikfähigkeit und Bodenhaftung haben über die Jahre gelitten. Statt über Fehler zu sprechen, geht’s lieber um Tätowierungen, Nagellack und Einkaufstouren. Die Deutschen hatten Weltklasse-Fußballerinnen in ihren Reihen, Titel gewann die Mannschaft im Abo. Kritische Worte wollte irgendwann keiner mehr hören – wer sich doch erlaubte, Wasser in den Wein zu gießen, erntete beißende Reaktionen. Das hat unter Bundestrainerin Silvia Neid begonnen. Und ist an vielen Stellen geblieben. Rund um die Mannschaft hat sich eine Weichspüler-Rhetorik etabliert.

Unterläuft einer deutschen Spielerin ein Klops, ist das kein Thema. Statt zum Beispiel einen Stellungsfehler zu analysieren, wird lieber auf den Pass verwiesen, der die Mitspielerin gefunden hat. Fällt mal wieder kein Tor aus dem Spiel, wird nur die Parole ausgerufen, es das nächste mal besser zu machen. Dabei hat es nichts mit Machotum zu tun, Fehler anzusprechen. Diese Art des wohlmeinenden Gefasels hat der Sport nicht verdient. Der Frauenfußball in Deutschland hat eine beeindruckende Entwicklung hinter sich. Damit das frühe Aus in den Niederlanden ein einzelner Stolperer war, braucht es eine neue Kultur. Denn nur, wer den Wert einer Kritik und eines Widerspruchs auch erkennt, kann sich verbessern.

eva.hammel@stuttgarter-nachrichten.de