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Grüner OB-Bewerber Fritz Kuhn geht Bahn an – Verletzungen zwischen SPD und Grünen will er heilen.

Stuttgart - Um die OB-Wahl in Stuttgart zu gewinnen, möchte der Grünen-Bewerber Fritz Kuhn auch Stimmen von SPD-Wählern erobern. Es sei Zeit, einen Schlussstrich unter die gegenseitigen Verletzungen von Grünen und SPD zu ziehen, sagt Kuhn im Interview mit unserer Zeitung.

Herr Kuhn, an diesem Donnerstag stellen Sie sich der Findungskommission Ihrer Partei als OB-Bewerber vor. Das ist doch wohl reine Formsache, schließlich hatte die Kommission schon einstimmig beschlossen, dass man Sie gewinnen will.

Seit ich erklärt habe, dass ich mit der Unterstützung der Partei zur OB-Kandidatur bereit wäre, habe ich innerhalb und außerhalb der Partei viel Rückenwind bekommen. Deshalb glaube ich schon, dass wir uns in der Findungskommission verständigen können. Aber wir wollen natürlich auch alle unsere Vorstellungen für den Wahlkampf auf den Tisch legen und danach noch einmal sagen: So können wir das zusammen machen.

Was reizt Sie überhaupt am Stuttgarter OB-Sessel? Vor Monaten, als es um die Regierungsbildung in Baden-Württemberg ging, hatten Sie mit einer Rückkehr nach Stuttgart nichts im Sinn.

Das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters, die Größe der Stadt und ihr großes Potenzial in vielen Bereichen eröffnen einem viele positive Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem: Ich habe zwölf Jahre in Stuttgart gelebt und hier meine Frau kennengelernt. Meine beiden Söhne sind in Stuttgart geboren. Daher wäre das für mich eine echte Heimkehr.

Und die Familie toleriert, dass Sie Heimkehrer werden wollen?

Die Anfrage der Partei hat uns im Skiurlaub in den Dolomiten erreicht. Wir haben es gründlich besprochen und dann gemeinsam gesagt: Mach es!

Beim Sichten der Reaktionen auf Ihre Bewerbung im Internet fallen nicht nur positive Reaktionen auf. Manche meinen, bei den Grünen in Berlin würden sowieso zunehmend andere Figuren den Ton angeben. Der Kuhn wolle sich als OB eine schöne Pension sichern.

Das ist Quatsch mit Soße. Ich würde den Job einfach gern machen. Die Bewerbung ist ein Angebot an die Menschen in Stuttgart. Ich werde alles geben, sie zu überzeugen.

Die CDU ringt noch um ihren Kandidaten. Wer wäre für Sie gefährlicher - der parteilose Sebastian Turner oder der CDU-Politiker Andreas Renner?

Mir ist völlig wurst, wen die CDU ins Rennen schickt. Sie soll einfach den Bewerber nehmen, den sie für den Besten hält. Ich bin nicht so ein hysterischer Kandidat, der jede Zuckung bei der Konkurrenz beobachten und darauf reagieren will. Am Schluss ist die OB-Wahl immer eine Persönlichkeitswahl. Gewählt wird, wer am authentischsten ausstrahlt, dass er die Aufgabe lustvoll angehen will. Und wer das beste Programm hat. Im Übrigen ist für mich der Wahlkampf, anders als für Herrn Renner, kein Opfer. Ich mach' das gern.

Was wird in Ihrem Programm stehen?

Ich will jetzt noch kein Programm vorstellen, sondern bis zur Nominierung des Grünen-Kandidaten am 15. März inhaltlich viel arbeiten. Erst nachdenken, dann reden.

"Ich will Stuttgart weiterentwickeln"

Ökologie, Wirtschaft und Finanzen - das wird doch wohl darin vorkommen. Mit diesem Profil verbinden die Leute Ihren Namen vor allem.

Ökologie und Ökonomie werden sicherlich eine wichtige Rolle darin spielen. Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben - das taugt nach meiner Überzeugung auch und gerade für Stuttgart. Ich werde auch fragen, was das kulturell und sozial bedeutet.

Machen Sie's nicht so spannend. Verraten Sie noch ein bisschen mehr.

Stuttgart lebt wirtschaftlich von jeher davon, dass es eine Stadt der Innovation, der Erneuerungen ist. Dafür braucht es genügend ausgebildetes Personal. Was all das ökologisch und auf den Politikfeldern von Kultur, Sozialem und Bildung bedeutet, damit beschäftige ich mich seit Jahren. Ich will Stuttgart hier weiterentwickeln, wo Änderung notwendig ist. Manches ist aber auch schon jetzt gut.

Wo wollen Sie sich die Wählerstimmen für diesen Auftrag besorgen?

Ich muss dafür nicht nur die Stimmen der Grünen-Wähler holen. Ich will auch versuchen, Stimmen von den Schwarzen und von den Roten zu gewinnen. Gerade bei Letzteren wird der Begriff der Solidarität und der Teilhabe eine große Rolle spielen.

Sie denken, dass Sie im zweiten Wahlgang auch der Kandidat für die Sozialdemokraten sein können, falls deren eigener Bewerber nach dem ersten Wahlgang zurück liegt?

Irgendwann muss die Vergangenheit doch einmal ruhen. Irgendwann müssen die Verletzungen auf beiden Seiten einmal ausheilen. Diese Verletzungen, weil bei einer OB-Wahl die SPD nicht die Stimmen für unseren Kandidaten Rezzo Schlauch lieferte, bei der anderen OB-Wahl wir Grünen nicht Ute Kumpf unterstützten. Ich glaube schon, dass ich einen Gesprächsfaden herstellen kann, der es erlaubt, einen Strich unter diese Vergangenheit zu machen. Die Menschen wollen nämlich nicht so eine Situation Partei gegen Partei oder Eifersucht gegen Eifersucht. Es werden Personen gewählt.

Manche meinen, Sie seien ein ehemaliger Vordenker für schwarz-grüne Koalitionen und könnten eher bei der CDU wildern. Der CDU-Bewerber Renner tröstet sich damit, dass Sie früher eher für Rot-Grün gestanden seien.

Wissen Sie, mit einem Lager-Wahlkampf der harten Art ist hier nichts zu gewinnen. Bei mir war es immer so, dass ich für grüne Überzeugungen stand und versuchte, sie mehrheitsfähig zu machen. Vor Jahren habe ich in Baden-Württemberg die Chancen des Modells Schwarz-Grün sondiert, weil nach dem Einzug der Republikaner in den Landtag nur dies oder eine Große Koalition möglich war. Und andererseits habe ich viel dafür geackert, dass Grüne und SPD das Land regieren, die Schwarzen in der Opposition sind. Grundsätzlich sage ich: Man muss sein Handeln an Inhalten orientieren, nicht an der politischen Farbenlehre.

Wie sehr wird Stuttgart 21 den Wahlkampf prägen? Und welche Haltung wollen Sie dazu beziehen?

Ich habe schon 1996, in den Anfängen dieses Projekts, als Fraktionschef im Landtag eine kritische Position bezogen. Damals verlangte ich ein vergleichendes Raumordnungsverfahren mit Alternativen, wie sie bei der S-21-Schlichtung diskutiert wurden. Die Christdemokraten haben diese Forderung kalt-zynisch lächelnd abgetan. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass das Projekt nicht gut ist. Es ist zu teuer und zu riskant. Ich akzeptiere aber als Demokrat das Ergebnis der Volksabstimmung, bei der eine Mehrheit entschied, dass sie nicht aussteigen will. Die Bahn hat das Baurecht, sie ist aber auch gefordert, damit richtig umzugehen.

Was meinen Sie damit?

Die Bahn AG ist bei der Bau-, der Termin- und der Kostenplanung äußerst schlecht aufgestellt. Das sieht man schon an dem Unsinn, dass sie die denkmalgeschützte ehemalige Bahn-Direktion nun gern komplett abreißen möchte. Im Wahlkampf werde ich darauf eingehen, dass die Bahn sich trotz Baurechts solche Vertrauensbrüche nicht leisten kann.

"Die Bahn muss auf die Menschen zugehen"

Welche Konsequenzen fordern Sie?

Ich glaube nicht, dass sie gut beraten ist, in den nächsten Tagen Bäume für den Bau des Tiefbahnhofs zu fällen. Sie sollte das unterlassen und erst einmal ihre Hausaufgaben machen. Bis Oktober geht bei den Bauarbeiten gar nichts, da das Grundwassermanagement nicht steht. Die Bäume jetzt zu fällen ist daher nicht richtig. Auch die Bahn muss auf die Menschen zugehen.

Solche Forderungen werden den Wutbürgern nicht reichen. Ein Kommentar zu Ihrer Bewerbung im Internet lautet: Wenn der Kuhn nur einen Funken Anstand hat, wird er als OB das Projekt Stuttgart 21 stoppen.

Der künftige OB von Stuttgart, egal wer es ist, kann dieses Projekt nicht beenden. Etwas anderes zu sagen wäre ein falsches Versprechen. Land und Stadt können nur auf die Einhaltung der Kosten bestehen und dafür sorgen, dass der Bau nach Recht und Gesetz abläuft. Der OB muss auch dafür sorgen, dass die Menschen nicht unnötig durch die Baustellen belastet werden. Und emotional muss er Brücken bauen.

Wie würden Sie in Stuttgart Brücken zu bauen versuchen?

Wir müssen ein Klima schaffen, dass die, die bei der Volksabstimmung in der Mehrheit waren, nicht triumphieren. Die Interessen der Minderheit sollten auch respektiert werden, sonst driftet die Stadt emotional auseinander. Wir müssen die Energie, die die Gegner entfaltet haben, für konstruktive Projekte nutzbar machen. Die Stadt braucht andere Ziele als immer nur Beton, um diese Metapher zu verwenden.

Das hört sich blumig an. Können Sie das übersetzen?

Es geht um eine andere Planungskultur, die immer auch eine Vertrauenskultur ist - im guten wie im schlechten Sinn. Ich will sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger künftig gehört werden, ehe Beschlüsse fallen und gebaut wird. Es ist doch die Stadt der Menschen. Darum geht es.

Stuttgart hat im Moment noch einen CDU-OB, der bestens mit dem grünen Ministerpräsidenten harmoniert. Würde der Stadt da ein Absturz drohen? Es heißt, Sie verstünden sich mit Winfried Kretschmann nicht so gut.

Falsch. Ich verstehe mich mit dem Winfried Kretschmann gut. Wir würden sicher gut zusammenarbeiten. Wir sind nah genug beieinander. Wenn Stadt und Land einmal unterschiedliche Interessen vertreten müssten, würden wir das freundschaftlich lösen. Wir würden aus Leidenschaft für die Inhalte zusammenarbeiten.

Ihr Parteifreund Rezzo Schlauch hat viel Erfahrung aus dem OB-Wahlkampf in Stuttgart. Hat er Ihnen zur Bewerbung geraten?

Wir haben telefoniert, und er hat mir gesagt, ich soll es machen.

Wird er auch für Sie Wahlkampf machen - oder für Andreas Renner? Für den hat er sich früher einmal, über Parteigrenzen hinweg, verkämpft.

Logisch, er setzt sich für mich ein, wie ich früher auch für ihn Wahlkampf gemacht habe. Er wird mich beraten, viele andere werden das auch tun. Und das ist gut so. Die Leute müssen spüren, dass viele zu meiner Kandidatur stehen.