Jürgen Elser erläutert Fritz von Graevenitz’ Figur „Mutter Heimat“. Foto: Peter Buchholtz

Beim Spaziergang über den Waldfriedhof wird der Zeitgeist der Kriegsgenerationen beschworen.

S-Süd - Im Jahr 1914 wurde der Waldfriedhof als Soldatenfriedhof in Betrieb genommen. Wer genau hinsieht, kann dort auch heute noch einiges über die Geschichte zwischen den Weltkriegen erfahren. Mit der Phase zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg setzte sich am Samstagnachmittag eine Führung über den Stuttgarter Waldfriedhof auseinander. Organisiert wurde der Spaziergang gemeinsam von der Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd und dem Verein für Friedhofskultur.

Bauknecht, Bosch und Breuninger

Vor mehr als 100 Jahren wurde der Friedhof nach dem Vorbild des Münchner Waldfriedhofs errichtet und der erste Verstorbene, ein im ersten Weltkrieg gefallener Soldat, begraben. „Die Waldwege wurden einfach zu Friedhofswegen umgenutzt. Das erklärt den recht unübersichtlichen Aufbau“, so Jürgen Elser, der die Führung leitete und gemeinsam mit Heinz Tiedemann und Hagen Müller organisiert hatte. Auf der 30 Hektar großen Fläche liegen heute 20 000 Gräber, von denen allerdings nur 10 000 belegt sind.

Neben prominenten Namen wie Bauknecht, Bosch und Breuninger, die auf den Grabsteinen zu lesen sind, lässt sich auf dem Waldfriedhof der Stuttgarter Geschichte zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg durch Grabsteine, Inschriften und Plastiken nachspüren.

Besonders auffällig ist dabei die patriotische Stimmung, unter der die Deutschen nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg ihre Gefallenen ehrten. So finden sich zahlreiche Stelen für die einzelnen geschlagenen Schlachten im Ersten Weltkrieg auf dem Friedhof wieder. „Damals hatten Bayern, Sachsen und Württemberg noch eigene Truppen“, sagte Elser. Die Plastiken von Bildhauern wie Fritz von Graevenitz und Käthe Kollwitz lassen auf einen in der Gesellschaft recht unterschiedlichen mit dem verlorenen Krieg schließen.

Reichsadler und Hakenkreuz

Von Graevenitz, der im NS-Politiker Christian Mergenthaler einen Gönner und Förderer gefunden hatte, ist dabei ein Künstler mit Symbolgehalt für diese zerrüttete Zeit. So entwarf er einerseits liebliche und natürliche Figuren, wie etwa die Plastik am Grabe Mergenthalers, andererseits bediente er sich der Nazi-Symbolik und schuf Reichsadler mit Hakenkreuz-Emblemen, obwohl viele seiner Vorbilder zu den entarteten Künstlern zählten. Auch Texte und Inschriften Otto von Mosers belegen den aus heutiger Sicht befremdlichen patriotischen Zeitgeist. Historisches Wissen ist auf dem Waldfriedhof unverzichtbar, will man die Bildsprache der Gräber verstehen.

So wies Jürgen Elser, der selbst als Steinmetz tätig ist, auf einen Engel auf einem Grabstein hin: „Auf den ersten Blick ist da nur ein Engel. Wer genauer hinsieht bemerkt den steifen rechten Arm, der zum Führergruß ausholt.“ Käthe Kollwitz, deren bekannte Pieta ein Grab schmückt, ging mit der Niederlage des Ersten Weltkriegs dagegen anders um. „Sie klagte den Krieg und den Schmerz ganz deutlich an“, sagte Jürgen Elser.

Sorgen macht sich Elser um den Zustand des alten Friedhofsteil. Durch die Liberalisierung der Satzung ist im Laufe der Jahre immer mehr vom ursprünglichen Charakter der Begräbnisfelder verloren gegangen. Es sei, so Elser, immer schwieriger, die Qualität des Friedhofs, der zu Deutschlands schönsten gezählt wird, zu bewahren.