Proteste gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Foto: dpa

In Miami verhandeln die USA und die EU wieder über das Freihandelsabkommen. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, macht sich für ein schlankes Abkommen stark.

Berlin - Herr Müller, Sie setzen sich für ein transatlantisches Freihandelsabkommen ein, warum?
Als Verbraucherschützer sehe ich viele Vorteile, die ein fairer Freihandel haben kann. Das sind niedrige Preise, das ist Warenvielfalt. Wenn man den Blick auf den europäischen Binnenmarkt lenkt, erkennt man: Dort funktioniert Freihandel – wenn es klare Regeln gibt.
Zu welcher Verhandlungslinie raten Sie der Kommission, auch im Hinblick auf den massiven Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP in Deutschland?
Für Freihandel zu sein heißt eben nicht, alles gut zu finden, was wir derzeit über TTIP wissen. Wenn wir TTIP retten wollen, bedarf es einer klaren Korrektur. Dazu gehören drei Dinge. Erstens sollte das Abkommen auf die Bereiche beschränkt werden, die unstrittig sind. Also Abschaffung von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen etwa im Maschinenbau und in der Autoindustrie. Umgekehrt sollte man Lebensmittel, Chemikalien und Kosmetika ausklammern. Ich werbe also für ein schlankes TTIP, ein TTIP light. Zweitens: Beim Investorenschutz muss man sich noch einmal sehr genau anschauen, ob die geplanten Schiedsgerichte überhaupt nötig sind. Aus unserer Sicht sind die vorhandenen Rechtssysteme ausreichend und bewährt. Und drittens: Künftige Regulierungen in den USA und der EU dürfen nicht im Namen von TTIP behindert werden, daher muss die regulatorische Kooperation deutlich eingeschränkt werden.
Stichwort Schiedsgerichte: Von Wirtschaftsseite hört man schon länger, dass es daran nicht scheitern sollte . . .
In der Tat sagen viele Unternehmensvertreter, dass sie juristisch keine gravierenden Probleme zwischen den USA und der EU erwarten. Es handelt sich ja um durchaus entwickelte Rechtssysteme, in denen die Unternehmen schon heute hohe Summen investieren. Der amerikanischen Seite scheinen die Schiedsgerichte aber sehr wichtig zu sein. Allerdings sei hier daran erinnert, dass die USA mit Australien und Singapur ein Freihandelsabkommen ohne Schiedsgerichte abgeschlossen haben.
Stichwort Kosmetik: Zeigt denn nicht der Diesel-Skandal, dass es um Verbraucherrechte in den USA gar nicht so schlecht bestellt ist, wie uns Kritiker hierzulande weismachen wollen?
Man tut gut daran, die Verbraucherstandards in der EU und den USA nicht in schwarz und weiß zu malen. US-Standards sollten nicht einfach als schlecht diffamiert werden. Auf dem Finanzmarkt, bei Medikamenten und Kinderspielzeugen sind die Regelungen in den USA sogar viel strenger als in der EU. Das Problem ist: Die Regelungen sind sehr unterschiedlich und schwer zu vergleichen. In den USA hat die Wirtschaft viel Freiheit, etwas auf den Markt zu bringen. Wenn es aber schiefgeht, wie etwa bei VW, dann drohen drakonische Strafen. In Europa ist es anders: Hier muss ein Unternehmer viele Genehmigungen einholen, bis er mit seinem Produkt auf den Markt darf. Aber dann drohen später auch keine Sammelklagen wie in den USA. Also: In allen Bereichen, wo die Schutzphilosophie ähnlich ist, sehe ich keine Probleme. Bei Lebensmitteln, Kosmetika und Chemie liegen die Dinge aber anders, dort verträgt sich die Regulierung nicht. Daher unsere Forderung: Bitte ausklammern.
Stichwort Lebensmittel: So vorbildlich ist der Verbraucherschutz bei uns doch gar nicht. Kalbsleberwurst darf zu 44 Prozent Schwein enthalten, Zitronenlimonade muss keine Zitrone enthalten, Lachssalat kommt ganz ohne Lachs aus . . .
Es ist richtig, dass auch bei den Lebensmitteln hierzulande längst nicht alles Gold ist, was glänzt. In Europa ist Verbrauchertäuschung immer noch ein großes Problem, das gelöst werden muss. Worauf wir schauen müssen, das sind unterschiedliche Produktionsarten: Zum Beispiel werden in den USA Lebensmittel mit Gentechnik erzeugt, ohne dass eine Kennzeichnung Pflicht wäre. Verbraucher in Europa wollen auch kein hormonbelastetes Fleisch. Hormone sind Wachstumstreiber, deren Folgen für die Gesundheit höchst umstritten sind. Und: In den USA wird mit Klonfleisch experimentiert. Noch ist es nicht serienreif, doch man sollte schon infrage stellen, ob Europa das wirklich will.
Stichwort Chemie: Von der Industrie hört man, dass ein großer Wurf bei TTIP unrealistisch ist, dass es vielmehr darum geht, Regulierungsbehörden miteinander reden zu lassen und etwa Messstandards anzugleichen . . .
Auch bei der Debatte zur Chemie-Regulierung hat es Fortschritte gegeben. Das Dilemma ist: TTIP beruht auf gegenseitiger Anerkennung. Eine Produktionsmethode etwa, die in den USA legal ist und der Industrie große Kostenvorteile beschert, wäre auch in der EU legal. Allerdings ohne dass in der EU der Industrie teure Sammelklagen drohten, falls es schiefgeht. Das wäre eine Wettbewerbsverzerrung. Messmethoden anzugleichen, das ist kein Problem. Es muss aber sichergestellt sein, dass TTIP keine Tür öffnet für Produkte, die hierzulande das Zulassungsverfahren nicht durchlaufen haben.
Strich drunter, die Wirtschaft zeigt sich in etlichen Punkten kompromissbereit. Vermissen Sie dies nicht auch bei den Kritikern von TTIP?
Keine Frage, die Debatte hat sich weiterentwickelt. Und die Zusagen der Kanzlerin und des Wirtschaftsministers, keine Standards senken zu wollen, nehme ich ernst, sie müssen jedoch noch konkretisiert werden. Beides sind schöne Erfolge einer sehr lebhaften öffentlichen Debatte. Und ich finde, dass diese Fortschritte in der Debatte Anerkennung finden sollten.

Zur Person:

1971 in Wuppertal geboren

1998 bis 2000 Grünen-Abgeordneter im Bundestag

2000 bis 2005 Minister für Umwelt in Schleswig-Holstein

2005 bis 2006 Grünen-Abgeordneter im Landtag in Kiel

2006 bis 2014 Vorstand der Verbraucherzentrale NRW

Seit 2014 ist der Diplom-Volkswirt Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands

Verheiratet, zwei Kinder, in seiner Familie ist er für das Backen zuständig

Freihandelsabkommen

Am Montag beginnt die elfte Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA zum Freihandelsabkommen TTIP.

Zentrales Ziel eines solches Abkommens ist es, Vorschriften zu vereinheitlichen, um den Handel zu erleichtern. So gibt es etwa für Autohersteller eine Vielzahl von Vorschriften dies- und jenseits des Atlantiks, die wegen ihrer Unterschiedlichkeit in vielen Details hohe Kosten verursachen.

Kritikpunkte sind die teilweise unterschiedlichen Standards in den USA und in der EU. So ist hormonbehandeltes Fleisch in den USA zugelassen, in der EU aber nicht. Auch die Schiedsgerichte zur Klärung von Konflikten sind umstritten, weil sie geheim tagen sollen.