Eine der wenigen Oberbürgermeisterinnen im Land: Reutlingens Stadtoberhaupt Barbara Bosch Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

An möglichen Bewerberinnen für die höchsten kommunalen Ämter mangelt es nicht. Was hindert sie zu springen?

Stuttgart - Natürlich hat es auch Kaffee und Kuchen gegeben. Aber Anette Rösch legt Wert auf die Feststellung, das Jahrestreffen von 50 Bürgermeisterinnen vor wenigen Tagen in Bad Saulgau sei „kein Kaffeekränzchen“ gewesen. Dabei hatte das gar niemand unterstellt.

Käme einem Mann eine solche Rechtfertigung über die Lippen? „Frauen müssen sich einfach mehr erklären und begründen, warum sie etwas tun“, sagt die Rathauschefin von Wannweil. Seit fast einem Vierteljahrhundert leitet sie die Geschicke der Gemeinde bei Tübingen – und hat da so ihre Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel die, dass Bürgermeisterinnen mehr unter Beobachtung stehen als ihre männlichen Kollegen. Rösch: „Weil wir nicht so viele sind.“

Als Rösch vor 20 Jahren das erste Treffen organisierte, waren sie gerade mal sechs. Mittlerweile benötigen sie einen kleinen Saal. Sieben Oberbürger- und 76 Bürgermeisterinnen haben derzeit in den 1101 baden-württembergischen Gemeinden das Sagen. Das klingt stattlich, macht aber nur 7,5 Prozent aus. Und die sind meilenweit entfernt vom Frauenanteil in der Bevölkerung – ein demokratisches Armutszeugnis.

Doch das wird sich über kurz oder lang ändern, glaubt Paul Witt, der Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl: „Zwangsläufig.“ Der Grund liegt darin, dass in den beiden Kaderschmieden für Rathauschefs in Ludwigsburg und Kehl fast nur noch Frauen studieren. „Mehr als 75 Prozent unserer Studierenden sind weiblich, Tendenz steigend“, sagt Witt.

Der Wähler will Fachleute

Natürlich führt das nicht automatisch zu mehr Bürgermeisterinnen. Dazu müssten Frauen erst einmal kandidieren. Bis heute dominieren Männer das Bewerberfeld. Am vergangenen Wochenende, als sieben Kommunen ihre Rathausspitze neu bestimmten, war lediglich eine Frau am Start: in Leonberg. Außerdem haben nicht alle Bewerber die Bürgermeisterhochschulen durchlaufen. „Aber die meisten“, sagt Witt, „denn der Wähler will Fachleute.“ Arithmetisch gesehen ist die Zeit also reif für Frauen. Und immerhin können sich 40 Prozent der Kehler Studentinnen vorstellen, ein solches Amt tatsächlich anzustreben, wie die Hochschule in einer Studie ermittelt hat. Was also hindert sie?

„Meine Kinder sind jetzt so selbstständig, dass ich einen beruflichen Schritt nach vorne machen kann“, sagt Claudette Kölzow. Die 46-Jährige, auch sie Absolventin der Ludwigsburger Verwaltungshochschule, will am 8. Oktober in der kleinen Gemeinde Buchheim bei Tuttlingen zur Bürgermeisterwahl antreten. Zu Zeiten der Familienphase hätte sie das noch nicht erwogen, und damit steht Kölzow stellvertretend für andere potenzielle Bewerberinnen: „Viele warten, bis ihre Kinder aus dem Gröbsten heraus sind“, sagt Witt. Das Antrittsalter der Frauen werde künftig also tendenziell höher sein als das von Männern, die oft schon in jungen Jahren kandidieren.

Dauernd im Dienst

Das wirft ein grelles Schlaglicht auf die öffentlichen Erwartungen, mit denen sich Bürgermeister, ob Mann oder Frau, grundsätzlich konfrontiert sehen: dass sie rund um die Uhr verfügbar sind. Irgendein Vereinsfest steht am Wochenende immer an, das die Anwesenheit des Gemeinderepräsentanten erfordert. Um wenn um 20 Uhr irgendwo ein Wasserrohr bricht, kennt man in kleineren Gemeinden die einschlägige Telefonnummer: die des Schultes. Ältere Amtsinhaber hätten nie etwas Anderes erlebt, sagt Witt: „Die kennen das Wort Work-Life-Balance nicht.“ Bürgermeister zu sein, ist eine Lebensaufgabe, und das Internet hat das Ganze noch verschärft: „Jetzt bekomme ich auch nachts Mails, und die Antwort wird immer sofort erwartet“, sagt Rösch.

Doch die Dinge sind im Fluss. Jüngere Amtsinhaber legten sehr wohl Wert darauf, auch mal eine Stunde Freizeit zu haben, sagt Witt: „Da muss die Bevölkerung künftig umdenken.“ Wie schwierig das ist, musste vor Jahren der Tübinger OB Boris Palmer erleben, der mit einer kurzen Elternzeit von drei Monaten den Zorn vieler Bürger auf sich zog. Gut möglich, dass sich das mit dem Einzug von mehr Frauen in die Rathäuser schneller ändert.

Die familienfreundliche Arbeitszeitregelung im öffentlichen Dienst ist im Übrigen ein Hauptgrund für den hohen Frauenanteil an den beiden Verwaltungshochschulen. Hinzu kommt, dass junge Frauen bei den Eingangstests in Kehl und Ludwigsburg einfach erfolgreicher abschneiden. „Und bei den Abschlussexamen sind sie auch besser“, sagt Witt. Einen Boy‘s Day erwägt man deswegen aber noch nicht.

Weniger Hahnenkämpfe

Sind die Bürgermeisterinnen erst einmal gewählt, stehen sie vor denselben Aufgaben wie ihre männlichen Kollegen. „Die Themen sind uns vorgegeben“, sagt Anette Rösch. Es gibt halt keine weibliche Straßenreinigung und auch keine männliche Bauleitplanung. „Ich muss überall sattelfest sein und kann mich nicht auf Bildung oder Betreuung reduzieren“, sagt Kandidatin Kölzow, die früher Haupt- und Kulturamtsleiterin der Gemeinde Bisingen war. Allerdings gebe es so etwas wie eine weibliche Sichtweise auf die Dinge und vielleicht auch einen anderen Stil: „Ich glaube, wir suchen eher den Kompromiss und habe eine etwas andere Verhandlungsführung“, glaubt Rösch. Hahnenkämpfe, wie sie bisweilen in männerdominierten Gemeinderäten zu beobachten sind, kämen in Gegenwart einer Bürgermeisterin kaum vor, glaubt Witt. Dennoch haben Frauen oft das Gefühl, „eine Schippe drauflegen“ zu müssen, wie Kölzow es nennt, um dieselbe Akzeptanz zu gewinnen wie ein Mann: „Gerade auf dem Land hat man’s noch ein bisschen schwerer.“ Da werde sie schon mal gefragt, ob sie sich überhaupt durchsetzen könne.

Und wie sieht es mit den Wahlchancen aus? Nach Meinung des FDP-Landtagsabgeordneten Tim Kern, der in seiner Dissertation der Frage nachging, warum Bürgermeister abgewählt werden, sind sie grundsätzlich nicht schlechter als jene von Männern. „Bürgermeister müssen zwei Sehnsüchte erfüllen“, sagt der Politologe, „eine nach Identifikation und eine nach Projektion.“ Soll heißen: Der Rathauschef soll gesellig, kommunikativ, also „einer von uns“ sein. Gleichzeitig soll er aber auch als Anführer auftreten.

Den ersten Part erfüllten die meisten Frauen mit Bravour, glaubt Kern. Doch bei der Anführeraufgabe schlagen seiner Meinung nach oft noch alte Rollenbilder durch. Die Wannweiler Amtsinhaberin Rösch kann das bestätigen. Sie glaubt, dass das Risiko einer Niederlage für Frauen höher ist. Es gebe eben Bürger, die Frauen grundsätzlich nicht für diesen Job geeignet halten: „Und das sind nicht nur Männer.“