Auf ihren blauen Steinway-Flügel ist Gabriele Degenhardt besonders stolz. Foto: Sybille Neth

Seit dem Frühjahr ist Gabriele Degenhardt Kirchmusikdirektorin in Heslach. Den Ehrentitel der evangelischen Kirche erhielt sie für über drei Jahrzehnte Engagement für die Musik. Besonders die Kinder liegen ihr am Herzen.

Stuttgart - Der blaue Flügel aus dem Hause Steinway sticht sofort ins Auge und auf ihn die Kirchenmusikdirektorin besonders stolz: „Es ist ein Sammlerstück. Es gibt nur 25 Stück davon“, sagt Gabriele Degenhart. Erst nach gut drei Jahrzehnten professioneller Arbeit in der Kirchenmusik hat sie sich den Traum erfüllt. „Früher ging es aus finanziellen Gründen nicht und auch der Platz fehlte.“ Den hat sie sich in ihrem Büro unter dem Dach in ihrem Privathaus geschaffen. Auch zwei Schreibtische benötigt sie. Einen mit Telefonanlage und Computer. Einen ganz ohne Technik – und somit ohne Ablenkung. Wer so ehrgeizige Projekte realisiert wie sie, braucht volle Konzentration.

Partitur aus ihrer Feder

Zum evangelischen Kirchentag hatte sie die größtenteils verschollene Messe in C von Alexander Presuhn (1870 - 1950) für gemischten Chor und großes Orchester rekonstruiert. „Zwei Jahre haben wir daran gearbeitet“, erzählt sie. Es gab keine Partitur mehr. Die Singstimmen waren noch handschriftlich erhalten. Gabriele Degenhardt, die studierte Kirchenmusikerin, brachte das Werk des einstigen Schauspielmusikdirektors am königlich württembergischen Theater, dem später Landestheater Stuttgart, wieder vor das Publikum – mit 70 Sängern und Sängerinnen sowie mit einem Orchester mit 30 Musikern.

Das G 8 macht den Chor kaputt

Auch mit den Kinder, die bei ihr ihre Singstimme erst einmal entdecken, geht sie gerne über die Grenzen des Traditionellen hinaus: Im Mai führte sie mit dem Kinderchor ein Singspiel eines zeitgenössischen Komponisten auf. „Bei alter Musik gibt es wenigstens Harmonien“, gibt sie zu bedenken. Aber die 60-jährige dreifache Mutter arbeitet am Können der Kleinen. Für den Kinderchor hat sie eine Stimmbildnerin engagiert, deren Arbeit nach einiger Zeit hörbar Früchte trägt. „Wenn die dann ihre Schnäbele aufmachen, kommt ein schöner Ton raus“, freut sich die Kirchenmusikdirektorin. Selbst wenn kein schöner Ton beim Solo erklingt, kritisiert sie nicht: „Auch wenn es grottenfalsch ist, gibt es ein Lob“, sagt sie lachend. Das ist Degenhardt-Pädagogik, denn wer als Kind einmal gesagt bekommt, er könne nicht singen, werde es für sein ganzes Leben bleiben lassen, weil die Stimme Ausdruck der Person ist. Singen lässt sich lernen. In ihrer ganzen Laufbahn seien ihr nicht mehr als zwei Kinder begegnet, bei denen das nicht geklappt habe, sagt sie. Große Sorgen dagegen macht ihr das G8. „Das macht uns kaputt.“ Die Kinder kommen in der Grundschule in den Chor, „beim Wechsel in die fünfte Klasse eines Gymnasiums sind sie weg“, bedauert Gabriele Degenhardt, die schon immer auf die Ökumene gesetzt hat. Wer in ihren Chören singt, muss nicht den evangelischen Glauben haben. Die Leute sollen Freude am Singen haben, der Glaube sei egal. „Alles, was ich mache, ist ökumenisch“, betont sie.

Entspannung im Garten

Gabriele Degenhardt war mit ihren drei Kindern, die alle in den 1990er Jahren geboren wurden, praktisch alleinerziehend, denn ihr Ehemann war in einer anderen Stadt tätig. Als ihr jüngstes Kind noch ein Baby war, übernahm sie neben ihrer Aufgabe als Organistin und Kinderchorleiterin das Kantorat an der Matthäuskirche. „Ich hatte immer au Pair-Mädchen und meine Mutter half mir auch“, berichtet sie. „Wer die Kunst als Brot hat, muss von ihr besessen sein“, gibt sie zu. Heute kann sie entspannen – bei ihrer Gymnastikstunde, die ihr heilig ist, und ihn ihrem großen Garten.