Eine kluge Studie des islamistischen Terrors: Szene aus „Timbuktu“ Foto: Arsenal

Wer französische Kultur und Lebensart schätzt, kann sie einmal im Jahr zumindest in Gedanken erleben: Die französischen Filmtage bringen beides auf die Kinoleinwände.

Tübingen/Stuttgart - In Tübingen werden von Mittwoch rund 80 französischsprachige Filme gezeigt, in Stuttgart von Donnerstag an eine Auswahl. „Über ein Viertel sind Deutschland-Premieren, darauf sind wir schon stolz“, sagt Christopher Buchholz, Festival-Leiter und Cineast mit Leib und Seele.

Zum Auftakt in Tübingen läuft „Timbuktu“, ein ausgeklügeltes Drama von Abderrahmane Sissako über eine islamistische Terror-Bande, die eine Wüstenstadt in Mali unterjocht – so wie es in der Realität mit Timbuktu tatsächlich geschehen ist. Die Einwohner sind überwiegend Schwarzafrikaner, um die Stadt herum leben Beduinen, und Sissako arbeitet in lyrischen Bildern auf die Eskalation hin.In Stuttgart ist der Film an diesem Sonntag um 20.30 Uhr zu sehen, dem Afrika-Tag des Festivals.

Brandaktuell: die Dokumentation „Silbernes Wasser“. Der in Paris lebende Syrer Ossama Mohammed und die junge Kurdin Simav Bedirxan haben Bilder des Krieges von 1001 Syrern gesammelt. „Das sind alles Handy-Aufnahmen und zum Teil harte Bilder“, sagt Buchholz, „aber es ist ihnen gelungen, das sehr poetisch zu montieren.“

In Stuttgart gibt es zum Auftakt ein Märchen : In „Le fil d’Ariane“ zeigt Robert Guédiguian, wie immer in seiner Heimatstadt Marseille, wie eine einfach ausbricht, als niemand aus ihrer vielbeschäftigten Familie zu ihrem Geburtstag erscheint. Sie landet in einem verwunschenen Lokal am Strand, wo eine skurrile Gruppe Gestrandeter haust, die sie in ihre Mitte aufnimmt.

In einer Werkschau von François Dupeyron läuft auch dessen Debüt „Drôle d’endroit pour une rencontre“ („Nächtliche Sehnsucht – Hemmungslos“, 1988) mit Catherine Deneuve und Gérard Depardieu als Ehepaar – er setzt sie an einem Autobahnrastplatz aus, wo sie einiges erlebt. „Das ist der erste Film, in dem die beiden zusammen aufgetreten sind“, sagt Buchholz. „Besonders ist daran auch, dass der Film in Echtzeit an einem einzigen Ort gedreht ist.“ Auch der Erste Weltkrieg spielt eine Rolle, das Festival zeigt „Apocalypse“ von Isabelle Clarke und Daniel Costelle. „Die beiden haben Archivmaterial neu montiert und eingefärbt“, sagt Buchholz. „Schwarzweiß erscheint uns wie aus einer anderen Zeit, in Farbe berühren uns die Bilder ganz anders.“

Beim traditionellen Cinéconcert kommen die Stuttgarter in den Genuss des Schweizer Stummfilms „La vocation d’André Carel“ von Jean Choux aus dem Jahr 1925. „Der Film war verschollen, man hat ihn aus Schnipsel rekonstruiert worden“, sagt Buchholz, „und es ist unglaublich, wie modern er aussieht – das könnte ein Nouvelle Vague-Film sein.“ Erzählt wird die Geschichte eines Genfer Sohnes aus reichem Haus, der sich als Arbeiter verdingt, um die Liebe eines Mädchens zu gewinnen. Die Musik liefert Pianisten Grégoire Baumberger.

Beim Tübinger Cinéconcert wird „La passion de Jeanne d’Arc“ (1928) von Carl Theodor Dreyer gezeigt, die Musik ist das Ergebnis eines Kompositionsworkshops der Tübinger Musikschule. „Ich wollte, dass die Schüler etwas machen“, sagt Buchholz, „es ist wichtig, die jungen Menschen früh an anspruchsvolle Filme zu gewöhnen und vor allem auch an Originalversionen.“

Er sieht sich als Botschafter: „In Frankreich ist Film die siebte Kunst, in Deutschland ist er Entertainment und viele wollen nur synchronisierte Werke sehen. Das ist eine Tragödie. Wir wollen die Leute fürs Kino gewinnen und zeigen, dass französischer Film viel mehr ist als ,Monsieur Claude“ und ,Ziemlich beste Freunde‘.“