Schlicht, quadratisch und mit ganz viel Beton gebaut: die Villa Nouailles. Das frühere Wohnhaus ist heute ein Kulturdenkmal. Foto: Diemar

Die Côte d’Azur kennt jeder. Aber die Côte Varoise? Die liegt gleich nebenan und ist noch viel schöner. Und außerdem wartet sie mit echten Geheimtipps auf. Die Villa Noailles ist einer davon.

Hyères - Im Entree steht ein gigantisches Bouquet fast verblühter Lilien, die einen morbid-süßen Duft verströmen. „Ja, der Eintritt ist frei“, sagt die Dame hinter dem kleinen Tisch. „Gehen Sie einfach durch die Räume, und versorgen sie sich selbst mit Informationen.“ In jedem Raum findet sich ein meterhoher Abreißblock mit Erläuterungen auf Französisch und Englisch. Aber man kann auch einfach das Gebäude als solches auf sich wirken lassen.

Denn die Villa Noailles in Hyères ist einer der bedeutendsten Schauplätze der künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Zu verdanken hat die Region das architektonische Juwel dem Ehepaar Charles und Marie-Laure de Noailles, begüterte und einflussreiche Mitglieder der Pariser Intellektuellenszene. Deren Eheschließung im Jahr 1923 galt seinerzeit als eines der großen gesellschaftlichen Ereignisse der Grande Nation. Die Braut, geborene Bischoffsheim, stammt aus einer schwerreichen Familie mit riesiger Gemäldekollektion. Der gleichfalls wohlhabende Bräutigam ist von uraltem Adel, dessen Stammbaum sich bis zu den Kreuzrittern zurückverfolgen lässt.

Ein "kleines Haus im Süden"

Das Paar erhält als Hochzeitsgeschenk unter anderem das Grundstück hoch über Hyères, einem Luftkurort nahe Toulon. Und so entsteht zwischen 1924 und 1929 auf den Grundmauern der verfallenen Abtei Saint-Bernard ein Gebäudekomplex im Bauhaus-Stil. „Clos de Saint-Bernard“ werden es die Eigentümer stets nennen, die sich in standesgemäßem Understatement ein „kleines Haus im Süden“ gewünscht haben. Aber der Reihe nach. Zunächst muss ein Architekt her. Doch Mies van der Rohe und Le Corbusier sagen ab. Also wendet man sich an den weniger prominenten französischen Architekten Robert Mallet-Stevens. Der macht sich umgehend ans avantgardistische Werk, das sich bald kühn wie ein Ozeandampfer den Hügel hinauf türmt. Beton ist der letzte Schrei, daher werden die Ziegelmauern damit überzogen.

Aus poliertem Beton werden auch die Fußböden gefügt. Und die Flachdächer, die als Terrassen zu begehen sind. Zur körperlichen Ertüchtigung treffen sich die Besitzer mit ihren Gästen in geringelten Turnhemdchen und Shorts. Über dem Poolbecken hängt ein Trapez für akrobatische Übungen. Eine Einladung in die Villa Noailles ist damals keine Aufforderung zum Abhängen. Hier ist alles in Bewegung, der Körper ebenso wie der Geist. In allen Räumen gibt es daher gut sichtbare Uhren, deren Zeiger und schlichte Ziffern direkt auf die Wand gebracht sind, gesteuert von einem geschickt versteckten und zentral gesteuerten Uhrwerk.

Wenn nicht geturnt wird, versammelt man sich zu mondänen Festen mit Intellektuellen, Künstlern und Literaten. Charles de Noailles hat zudem ein Faible für den Film. 1928 bittet er den amerikanischen Regisseur Man Ray, „Château de Dé“ über die Villa zu drehen, später finanziert er den Streifen „L’Âge d’Or“ des spanisch-mexikanischen Filmemacher Luis Buñuel Portolés, der zu großen Teilen hier in Hyères entsteht. Mit dem Zweiten Weltkrieg endet der Furor eines goldenen Zeitalters der Avantgarde. Charles de Noailles zieht sich auf sein Anwesen in Grasse zurück. Marie-Laure hält der Villa Noailles die Treue und versammelt hier weiter Künstlertalente bis zu ihrem Tod im Jahr 1970.

Bis heute dient das Gebäude als Treffpunkt für zeitgenössische Künstler. Im Frühling findet hier das „Festival International de Mode et de Photographie“ statt. In diesem Jahr ist das Haus Chanel Sponsor, und Designer Karl Lagerfeld persönlich sorgt für die künstlerische Gestaltung des Events. Und im Juli krönt die „Design Parade“ die Werke junger Talente, die den Sommer über hier ausgestellt sind. Den berauschenden Blick von den Terrassen der Villa auf die Stadt Hyères, das Meer und die Île d’Or vor der Küste gibt es als Dreingabe dazu.

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Infos zur Côte Varoise

Mode in der Villa
Villa Noailles, Montée Noailles, 83400 Hyères, Frankreich, Tel. 00 33 / 49 / 8 08 01 98, www.villanoailles-hyeres.com . Geöffnet Mi.-Sa. von 15 bis 20 Uhr, Eintritt frei.

Das Modefestival findet vom 23. bis 27. April statt.

Unterkunft
Le Grand Hotel in Bormes-les-Mimosas, Belle-Epoque-Bau mit Traumblick zur Küste, DZ ab 60 Euro, für Leser von Sonntag Aktuell gibt es 10 Prozent Rabatt (bitte bei Buchung nennen), Tel. 00 33 / 49 / 4 71 73 72, www.augrandhotel.com