Sagt gern und oft, was er denkt: Sandro Wagner gibt bei 1899 Hoffenheim den Antreiber, der alle um sich herum ständig reizt und animiert. Foto: dpa

Der Angreifer liebt die Selbstinszenierung und führt den Fußball-Bundesligisten 1899 Hoffenheim mit seiner ganz eigenen Art nach oben. Seit einem knappen Jahr trifft er, wie er will – und bleibt nie still

Stuttgart - Hermann Gerland, der Tiger, er hat sie alle erlebt. Gaudiburschen wie Thomas Müller, Musterprofis wie Philipp Lahm oder auch Lausbuben wie Bastian Schweinsteiger. Gerland trainierte früher die Jugend und die Amateure des FC Bayern, und er schaute danach, dass möglichst viele Jungspunde den Weg zu den Profis schaffen – was ihm auch in einer beachtlichen Quote gelang. Gerland, heute Co-Trainer bei den Profis und so etwas wie das fleischgewordene Bayern-Maskottchen, lernte viele Charaktere kennen. Einer seiner Ex-Schützlinge ist ihm dabei besonders in Erinnerung geblieben. Über Sandro Wagner sagt der „Tiger“: „So einen habe ich noch nicht erlebt. Er hat schon in der Bayern-Jugend immer das Gegenteil von dem gemacht, was ich gesagt habe.“

Wenn man so will, hat sich daran bis heute nichts geändert. Der Angreifer Sandro Wagner (28) macht gefühlt immer noch stets das Gegenteil von dem, was allgemein erwartet wird. Wenn die anderen links gehen, biegt er rechts ab. Der Mann ist so etwas wie die personifizierte Kratzbürstigkeit. Und er ist in diesen Wochen in aller Munde. Weil er seit einem knappen Jahr nach langer Durststrecke plötzlich trifft wie er will. Weil er maßgeblich am Höhenflug seines neuen Clubs 1899 Hoffenheim beteiligt ist. Und weil er mit seinem Verhalten auf dem Platz und seinen Aussagen daneben polarisiert wie kaum ein Zweiter im deutschen Fußball.

Ob Gegenspieler, Mitspieler oder das Publikum – keiner ist vor ihm sicher

Sandro Wagner, das ist klar, ist sich treu geblieben. Er eckt an – und bringt manchmal sogar seinen eigenen Trainer zur Weißglut. Neulich, beim Hoffenheimer Heimspiel gegen den SC Freiburg (2:1), stapfte der 1899-Coach Julian Nagelsmann wutentbrannt zur Bank und brüllte lauthals in Richtung seiner Co-Trainer: „Das kotzt mich nur noch an.“

Was passiert war? Sandro Wagner hatte sich nicht etwa einen Fehlpass oder einen falschen Laufweg geleistet. Er wälzte sich gefühlt zum 25. Mal im Spiel auf dem Boden, um Zeit zu schinden. Hinterher meinte Nagelsmann: „Ich habe ihm gesagt, dass er schneller aufstehen soll, damit wir weiterspielen können.“ Julian Nagelsmann sagte wenig später aber auch: „Allein, wenn man sieht, wie Sandro polarisiert auf dem Feld, wie viele Leute sich mit diesem Spieler beschäftigen, daran sieht man schon, dass er so schlechte Leistungen nicht bieten kann.“

Tatsächlich überzeugt Wagner neuerdings sportlich. Den SV Darmstadt führte er in der vergangenen Saison mit 14 Toren zum Klassenverbleib, und nun, in Hoffenheim, glänzt er weiter als Vollstrecker und Vorbereiter. Und mehr noch: Wagner ist durch seine Art der Eckpfeiler im Team. Seine Präsenz auf dem Platz, sie ist fast schon zu greifen. Der 1,94 Meter große Stürmer reibt sich auf den Außen auf, er rackert im Zentrum. Und er reizt und animiert. Permanent. Keiner ist vor ihm sicher. Ob Gegenspieler, Mitspieler oder das Publikum – ständig sendet Wagner Botschaften aus.

Sandro Wagner provoziert und polarisiert

So kommt es vor, dass der Angreifer 60 Meter entfernt plötzlich den Abwehrchef gibt und die Defensivleute wild fuchtelnd von vorn hinten raustreibt. Mehrmals fordert er im Spiel vom eigenen Publikum mit rudernden Armen Unterstützung ein. Und der Gegner ist vor keiner Stichelei sicher. Wagner weckt die Emotionen. Weil er provoziert und polarisiert.

„Genau das wollten wir ja, deshalb haben wir ihn verpflichtet“, sagt der Trainer Julian Nagelsmann dazu. Die einst eher braven Hoffenheimer haben nun einen Typen mit Ecken und Kanten in ihren Reihen. Reibung erzeugt bin diesem Fall Erfolg – und die Wagner-Festspiele, sie sollen auch im Spitzenspiel gegen Hertha BSC am Sonntag (15.30 Uhr) weitergehen. Und auch nach der Partie wird der Stürmer wohl wieder für beste Unterhaltung sorgen.

Wagner mag die Öffentlichkeit, er liebt sie geradezu. Er sagt gern und oft, was er denkt. Seht her, ich bin einer, der der sich nicht wie alle anderen weichgespülten Profis den Mund verbieten lässt. Feiert mich, weil ich Klartext rede – das ist seine Botschaft, die irgendwie immer mitschwingt.

Er findet, dass Fußballprofis „eher zu wenig verdienen“

Wird etwa über die realitätsfernen Millionengehälter der Fußballprofis der Kopf geschüttelt, biegt Wagner wieder andersrum ab und sagt, dass sie „eher zu wenig verdienen – das ist meine Meinung.“ Wenn die Fußballwelt den Nationalstürmer Mario Götze wegen seiner schwachen Leistungen kritisiert, meint Sandro Wagner: „Andere 23-Jährige, die über ihn lästern, sind jedes Wochenende saufen, haben keinen Plan vom Leben, wohnen noch bei Mama und Papa.“ Das ist Sandro Wagner in Reinform. Sein Leben, so scheint es, sind der Widerspruch und die Selbstinszenierung Am Mikrofon wie auch auf dem Platz.

Woher das alles kommt? Womöglich hat der gebürtige Münchner einfach Nachholbedarf. Im Alter von acht Jahren spielte er schon für den FC Bayern, durchlief beim Rekordmeister alle Jugendmannschaften, wurde mit der deutschen U 21 im Jahr 2009 Europameister. Doch dann scheiterte Wagner bei den Bayern, in Bremen und bei bei Hertha BSC. „Irgendwann muss ich falsch abgebogen sein“, sagt er selbst dazu.

Jetzt ist er endlich in der richtigen Spur – und will im Spätherbst der Kariere hoch hinaus. Und dabei jene Aufmerksamkeit erlangen, die er sich wohl schon seit seiner Jugendzeit beim großen FC Bayern immer erträumt hatte. Seine Ziele versucht er mit seinen eigenen Mitteln zu erreichen. Wagner geht den Wagner-Weg. Ohne Kompromisse. „Ich bin immer sehr zufrieden, wenn ich am Ende des Tages in den Spiegel schaue“, sagt er, „und deshalb werde ich meine Art nicht ändern.“