Das Duell um den WM-Titel: Lewis Hamilton (li.) gegen Nico Rosberg Foto: Getty

Eigentlich hat Lewis Hamilton im Duell um den Fahrertitel in der Formel 1 die klar besseren Karten als Nico Rosberg – doch darin liegt auch die Gefahr.

Abu Dhabi - Ein Weltmeister-T-Shirt gibt’s 2014 bei Mercedes nicht. Toto Wolff hat ein Machtwort gesprochen. Ganz gleich, ob Lewis Hamilton am Sonntagnachmittag (Start 14 Uhr MEZ/RTL) seinen zweiten Titel in der Formel 1 gewinnt oder ob Nico Rosberg es seinem Vater Keke nachmacht und (zunächst) einmal Champion wird – Mercedes hat keine Shirts anfertigen lassen, wie das Team eines als frischgebackener Konstrukteurs-Weltmeister in Sotschi präsentiert hat. Mit Sparen hat das nichts zu tun, so viel gibt das Formel-1-Budget von Daimler noch her. Es zeugt von Respekt gegenüber der Hamilton- und der Rosberg-Fraktion in der Garage. Eine wird verlieren. „Für einen Fahrer wird der Sonntag der schönste Tag sein, für den anderen der bitterste“, sagt Mercedes-Motorsportchef Wolff in Abu Dhabi, „wir können es den Verlierern im Team nicht zumuten, in einem so bitteren Moment so ein Shirt anziehen zu müssen.“

Die große Mehrheit im Fahrerlager des Yas Marina Circuit erwartet, dass die Mannschaft des Deutschen am Sonntag mit hängenden Köpfen abmarschieren wird. Safety-Car-Pilot Bernd Mayländer ist einer dieser Spezies. Der Schorndorfer ist mehr Realist, als dass er landsmannschaftlich eine Lanze für Rosberg brechen würde. „Für Lewis spricht viel“, sagt der 43-Jährige, „er muss nur Zweiter werden, ein Regenrennen in Abu Dhabi ist auch sehr unwahrscheinlich – und außerdem ist er für mich der Stärkere im Rennen.“ Der scheidende Weltmeister Sebastian Vettel hält sich salomonisch zurück und sagt lediglich ganz diplomatisch: „Beide haben es verdient, Champion zu werden.“

Nun ist Nico Rosberg so weit davon entfernt ein Dummkopf zu sein. Das Abi hat er mit 2,1 bestanden und deshalb kennt sich der 29-Jährige vermutlich auch mit Wahrscheinlichkeitsrechnung aus – da weiß er, dass er im Grunde fast chancenlos sein dürfte. Also schaltet er (ausnahmsweise) die Ratio aus und versucht, Lewis Hamilton aufs Glatteis der Psychologie zu locken. „Er hat alles zu verlieren, ich habe alles zu gewinnen. Das ist ein Vorteil“, stellt Nico Rosberg mit einem frechen Augenzwinkern fest. Anders gesagt: Hamilton muss Weltmeister werden, Rosberg kann es.

Exakt darin steckt der (Fehler-)Teufel. Vielleicht geht der Engländer nicht mit 100, sondern nur mit 98 Prozent ins Rennen, vielleicht meint er, Platz zwei im überlegenen Silberpfeil einzufahren ist nicht schwieriger als für einen Vierjährigen mit einem Bobby-Car durch die Wohnung zu brausen. „Vielleicht macht Lewis ja auch wieder einen Fehler wie in Brasilien, als er von der Strecke rutschte“, stichelt der gebürtige Wiesbadener dann auch noch am Donnerstag in der offiziellen Pressekonferenz. Auch für Bernd Mayländer scheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass Lewis Hamilton in diese Falle tappt. „Er kann strategisch auf den zweiten Platz fahren, aber genau das macht das Kribbeln aus“, sagt der Safety-Car-Pilot, „die letzten Saisonrennen haben es an sich, dass sie selten so verlaufen, wie viele es vorher erwarten.“

Es lauern noch andere Fallstricke. Eine unglückliche Strategie könnte Hamilton mitten ins Feld spülen, wo er viel Zeit verliert. Ein Defekt ist nie ganz auszuschließen, und womöglich möchte einer der Piloten aus dem Mittelfeld im Titelduell Zünglein an der Waage spielen und geht ganz besonders motiviert in einen Zweikampf mit dem Briten. Selbst, wenn all dies lediglich so wahrscheinlich ist wie ein Regenschauer in der Wüste von Abu Dhabi – völlig auszuschließen sind diese Szenarien nicht.

„Entscheidend wird sein“, vermutet der zweimalige Champion im Silberpfeil, Mika Häkkinen, „wer mental ausgeglichener bleibt.“ Lewis Hamilton macht in Abu Dhabi allerdings nicht den Eindruck, dass er mächtig verunsichert wäre. „Ich bin schon lange im Geschäft, ich weiß, wie man mit Druck umgeht“, bekräftigt der 29-Jährige selbstsicher und unterstreicht den Eindruck in souveräner Manier: Ich habe alles im Griff. Das dachte er aber auch 2007 beim Saisonfinale in Brasilien. Damals verlor er den sicher geglaubten Titel in São Paulo noch an Kimi Räikkönen.