Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff Foto: APA

Am Sonntag in Ungarn stand erstmals seit November 2013 nach einem Formel-1-Rennen kein Mercedes-Pilot auf dem Podium. Toto Wolff geht deshalb aber nicht in Sack und Asche. Der Mercedes-Motorsportchef über den verpatzten Grand Prix in Budapest, die akribische Fehlersuche und die WM-Aussichten.

Stuttgart – Herr Wolff, wie ist die Stimmung am Mercedes-Teamsitz in Brackley am Tag nach dem verkorksten Ungarn-Grand-Prix?
Wir hatten eine neue Situation. In der Ansprache um 14 Uhr, die wir nach jedem Rennen am Montag vor unseren 800 Mitarbeitern halten, war der Ablauf ein ungewohnter. Sonst lassen sich die Mitarbeiter mit den Pokalen fotografieren, nun war das nicht der Fall, weil wir seit 2013 erstmals nicht auf dem Podium vertreten waren. Und soll ich Ihnen was sagen?
Natürlich.
Wer so viele Fehler macht wie wir es in Budapest getan haben, der verdient es auch nicht, auf dem Podium zu stehen. Da müssen wir uns erst mal an die eigene Nase fassen.
Gehen Sie jetzt in Sack und Asche?
Natürlich müssen wir schauen, was falsch gelaufen ist – aber wir brauchen den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Unsere Fahrer sind immer noch auf den Positionen eins und zwei, in der Konstrukteurs-WM besitzen wir eine solide Führung. Wir setzen unsere ganze Energie in die Suche von Fehlern und Lösungen, aber nicht nach einem Schuldigen.
Sie haben die Daten analysiert. Wo hat es in Ungarn überall gekrankt?
Es war erstaunlich, dass Lewis (Hamilton, d. Red.) und Nico (Rosberg, d. Red.) nicht dieselbe Pace hatten. Das können wir uns nicht erklären. Lewis war am ganzen Wochenende der Schnellste, auch im Rennen am Sonntag. Nico hatte irgendwo im Setup einen Fehler. Dass sein Auto nicht so schnell war wie das von Lewis, lag nicht nur am Fahrer.
Hätte Hamilton tatsächlich mit Sebastian Vettel mithalten können?
Ja, wenn er nicht am Start Probleme gehabt hätte, die ihn weit zurückgeworfen haben.
Auch in Silverstone sind Ihre Fahrer schlecht gestartet. Hat Mercedes ein Startproblem?
Für die Tatsache, dass in Ungarn der größte Haftungsunterschied zwischen linker und rechter Startseite herrscht, hatte Nico keinen so schlechten Start. Lewis ist tatsächlich sehr schlecht weggekommen.
Hat er einen Fehler gemacht oder lag es am Silberpfeil?
Sie haben es ja gesehen, dass es zunächst einen Startabbruch gab und die Fahrer ein zweites Mal in die Einführungsrunde gingen. Als Folge war die Kupplung von Lewis beim zweiten Start überhitzt, sie hat nicht richtig gegriffen, weil sie zu heiß war.
Und diesen Fehler können Sie für die Zukunft ausschließen?
Selbstverständlich legen wir den Finger hier in die Wunde. Ja, wir haben ein sehr komplexes System, das leider fehleranfällig ist. Deshalb werden wir es überarbeiten. Für Spa müssen wir ohnehin ein verändertes System einbauen, weil dann die Fahrer ganz alleine für den Startvorgang verantwortlich sind und keine Unterstützung aus der Box mehr erhalten dürfen. Wir sehen diese Aufgabe als Chance an, nicht als Problem.
Welche Rolle spielten die Reifen? Einige Experten folgerten, dass Ferrari bei heißen Asphalttemperaturen Vorteile gegenüber dem Silberpfeil hätten – bei beiden Ferrari-Siegen in Malaysia und jetzt in Ungarn war die Strecke über 50 Grad heiß.
Für Nicos Auto mag das eine Rolle gespielt haben. Er steckte stark im Verkehr, er musste oft attackieren. Lewis war, wie ich vorher schon sagte, vom Speed her bestens unterwegs.
Wie haben die Fahrer auf diesen fast schon historischen Tiefschlag reagiert?
Mit Nico habe ich danach nur kurz gesprochen. Natürlich war er sehr unglücklich über seine Performance. Er hatte nicht den Speed, dann kam auch noch die Kollision mit Daniel Ricciardos Red Bull.
War Ricciardo daran schuld?
Die Schuldfrage will ich nicht beantworten. Kurz stand vonseiten der Rennkommissare eine 20-Sekunden-Strafe für ihn im Raum, doch die hätte am Ergebnis nichts geändert. Ohne die Kollision wäre Nico auf Platz zwei oder drei gelandet.
Hamilton hat bei seinen Aktionen die Brechstange ausgepackt. Ich hätte ihm als Doppel-Weltmeister mehr Souveränität zugetraut.
Sie dürfen nicht vergessen: Es sitzen Menschen in den Autos. Der gleiche Lewis hat nur etwa 24 Stunden vorher ein überragendes Qualifying gezeigt, alle waren begeistert von seiner Vorstellung. Im Rennen ist dann aber einiges schiefgelaufen. Aber bitte vermuten Sie deshalb jetzt nicht, dass er jetzt ein Problem hat.
Habe ich nicht vor. Er selbst hat auch registriert, dass seine Vorstellung nichts war.
Deshalb hat er sich bei allen Teammitgliedern entschuldigt.
In Spa, hat er gesagt, wolle er die Verhältnisse wieder zurechtrücken. Gibt’s in Belgien am 23. August wieder einen Mercedes-Doppelsieg?
Ich bin bei Prognosen immer vorsichtig.
Aber Ferrari dürfte der letzte verbliebene Konkurrent im WM-Duell sein.
Lewis liegt 42 Punkte vor Sebastian Vettel, das sind nicht einmal zwei Rennen Vorsprung. Wir sind also weit weg davon, die Saison locker und lässig zu Ende zu fahren. Ferrari darf man nie abschreiben.
Es kann also noch etwas anbrennen?
Es kann immer etwas anbrennen, das haben Sie ja in Ungarn miterlebt. Es ist wie im Fußball. Da haben Topmannschaften auch mal einen schlechten Tag und können ihr Leistungspotenzial nicht abrufen und verlieren unerwartet. Es gibt eben gute Tage, und es gibt leider auch schlechte Tage. Solange die guten im Vergleich zu den schlechten deutlich überwiegen, kann man mit den schlechten leben und etwas daraus lernen.
Die nächsten Rennen in Spa und Monza liegen dem Silberpfeil wieder besser als der verwinkelte Kurs von Ungarn.
Mag sein, aber wir haben doch erst knapp über Saison-Halbzeit – es ist deshalb noch zu früh, um ernsthaft eine WM-Prognose abzugeben.