Der deutsche Rennfahrer Sebastian Vettel im Jahr 2010 im Regen auf der belgischen Rennstrecke Spa-Francorchamps Circuit Foto: dpa

Rennen im Regen sind die spannendsten in der Formel 1 – wer rechtzeitig auf Regenreifen wechselt, hat einen Vorsprung. Ein Thüringer besitzt einen besonders guten Draht nach oben.

Spa-Francorchamps -  Kühe seien die besten Meteorologen, das hat Red Bull einmal behauptet. Beim Grand Prix in Belgien, wo Sonne und Regen so oft wechseln wie die Stimmung einer Schwangeren, genüge es, das wiederkäuende Rindvieh zu beobachten. Wenn sich die Kühe erheben, wird es spätestens in zehn Minuten regnen, so behauptete das Team. Das war natürlich ein Scherz. Dabei versteht die Formel 1 beim Thema Wetter eigentlich keinen Spaß – in der lückenlosen Erfassung und korrekten Interpretation von Wetterdaten liegen mitunter der Unterschied zwischen Hero und Zero, zwischen Held und Versager.

Steffen Dietz ist sicher kein ¬Rindvieh, daher ist er in Spa-Francorchamps fürs Wetter zuständig. Oder besser: Der Thüringer wertet Wetterdaten aus und leitet davon eine Prognose ab. „Nähert sich eine Regenfront, lautet die Herausforderung“, sagt der Meteorologe, „vorherzusagen, ob es an einer bestimmten Stelle regnen wird und wann – oder eben nicht.“ Der 31-Jährige ist der Wetterfrosch der Formel 1, er ist bei Ubimet angestellt; die Wiener Firma erfasst und interpretiert Wetterdaten für den Automobil-Weltverband Fia. Ubimet liefert somit Wetterdaten an alle elf Teams, denen die verschiedenen Werte und eine Prognose für die Wetterentwicklung übermittelt werden. „Wir versuchen, so zeitgenau wie möglich, Regen vorherzusagen und auch die Region für den Niederschlag möglichst eng einzugrenzen.“

In den Ardennen ist diese Aufgabe besonders verzwickt, was gewöhnliches Milchvieh deshalb überfordert. Der Einfluss des Atlantiks, der etwa 240 Kilometer entfernt ist, und vor allem das Streckenlayout machen einen Fachmann unabdingbar. Der Kurs ist sieben Kilometer lang, das Höhenniveau geht von 370 bis 470 Meter über ¬Normalnull – da kommt es häufig vor, dass es in der Kurve Rivage am südlichen Zipfel regnet, während am nördlichen Ende in der Kehre La Source noch die Sonne scheint. „Die Lage der Strecke macht es möglich, dass sich ein Schauer schneller entwickelt als in der flachen ungarischen Ebene bei ¬Budapest“, erklärt der Diplom-Meteorologe.

Und weil Steffen Dietz seine Prognosen nicht einfach vom Zug der Wolken abliest, karrt Ubimet Ausrüstungsgegenstände von etwa einer Tonne zu den Rennen – ein Wetterradar wird auf einem hohen Punkt in der Nähe installiert, fünf Wetterstationen rund um den Kurs aufgestellt. Fünf Stunden dauert allein der Aufbau des Wetterradars , das maximal sechsköpfige Team reist daher für jeden Grand Prix schon am Montag an. Neben den eigenen Daten werden externe Quellen genutzt wie Satellitenbilder und Infos lokaler Wetterstationen. „Wir sammeln 93 Messwerte pro Minute“, sagt IT-Techniker Christoph Neudhart. 7200 Radarbilder und 800 000 Werte werden pro Rennen erstellt, täglich fallen 25 Gigabyte Daten an. Die werden mit den Wettermodellen, die Ubimet für die 19 Strecken erstellt hat, verknüpft, daraus leitet Dietz die Prognose ab – seit März wurden 336 abgegeben. „Dabei spielt auch die persönliche Erfahrung eine große Rolle“, betont der 31-Jährige, der vor knapp sechs Jahren schon einmal kurz die Formel 1 begleitet hat und nun für Ubimet unterwegs ist. Um die Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen, sind bei jedem Rennen mindestens zwei Meteorologen dabei, die Vorhersagen gemeinsam mit einigen Meteorlogen im Ubimet-Headquarter in Wien erstellen. „Unsere Arbeit muss minutengenau sein, das unterscheidet uns von den meisten Meteorologen“, sagt der Suhler.

Welche Entscheidungen die Teamstrategen aus den Daten wie Luft- und Asphalttemperatur, Luftdruck und -feuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und Regenradar folgern, dafür ist das Team von Dietz nicht verantwortlich. Welche Rennstrategie, welche Reifenwahl getroffen wird, wann die Boxenstopps absolviert werden, das diskutieren die Verantwortlichen am Kommandostand, denn letztlich sind sie für Erfolg oder Misserfolg verantwortlich. Die Rennställe haben eigene Wetterbeauftragte, die die angelieferten Daten sichten und ebenfalls interpretieren. Bei Mercedes ist dies aber kein ausgebildeter Meteorologe, sondern ein eingearbeiteter Ingenieur. Früher beschäftige jedes Team noch eigene Wetterfrösche, doch auch in der Formel 1 wird gespart – weil die angelieferten Informationen kaum noch verbesserungswürdig scheinen.

„Unser Ziel ist, den Teams die bestmöglichen Daten zur Verfügung zu stellen“, sagt Dietz. Und dafür benötigt er kein Kuh-Orakel. Denn die Rinder der Ardennen, so viel ist mittlerweile gesichert, stehen auf und legen sich hin, wann immer sie wollen. Ob Regen im Anflug ist oder nicht.