Eine Strategie-Panne bei Mercedes macht Nico Rosberg (li.) zum Sieger in Monaco – Lewis Hamilton gratuliert artig Foto: AP

Ein Computerprogramm dominiert über den gesunden Menschenverstand – das eigene Team raubt Lewis Hamilton den Sieg in Monaco, und der Formel-1-Weltmeister schluckt den immensen Ärger hinunter.

Monte Carlo - Strategien sind höchst komplexe sowie ziemlich komplizierte Geschichten. Im Krieg, an der Börse und auch im Sport können sie über Sieg oder Niederlage entscheiden. Angreifen oder abwarten? Verkaufen oder halten? Boxenstopp oder draußen bleiben? Toto Wolff redete nach dem Großen Preis von Monaco nicht lange drum herum, es wäre dem Mercedes-Motorsportchef auch wohl kaum gelungen, den eklatanten Strategiefehler seiner Mannschaft währen der Safety-Car-Phase als plausibel zu vermarkten. Dazu war der Patzer zu deftig, zu augenscheinlich, zu entscheidend – jeder nur motorsportlich halbwegs begabte Formel-1-Fans fragte sich: Warum fährt Hamilton 13 Runden vor Schluss an die Box und gibt seine Führung her?

Toto Wolffs Antwort war etwa zwei Stunden nach dem Rennen so einleuchtend wie simpel: „Wir haben keinen Gebrauch vom gesunden Menschenverstand gemacht.“ Er hätte es milder formulieren können, in etwa so: Manchmal triumphieren nüchterne Computerdaten über den Menschenverstand. Was der Österreicher der verdutzten Motorsport-Gemeinde damit sagen wollte: Die Strategen am Kommandostand hatten sich verrechnet wie ein Grundschüler – sie waren überzeugt, dass der komfortable Vorsprung von Lewis Hamilton ausreichen würde, um noch einmal frische Reifen zu holen, um so dem möglichen Schlussangriff von Sebastian Vettel gewappnet zu sein. Verkalkuliert. Nico Rosberg („Wo zur Hölle ist Lewis?“) wurde damit der köstliche Triumph beim Heimspiel in Monaco serviert, Ferrari-Star Vettel („Die Wende kam ziemlich überraschend“) durfte vorbei auf Platz zwei. Pole-Position-Mann Hamilton, der das Geschehen in Monte Carlo kontrolliert hatte, musste zwei Stufen auf dem Podium hinunterklettern. „Ich habe mich bei ihm fürs Team entschuldigt“, sagte Wolff.

Team-Aufsichtsratschef Niki Lauda hatte kurz nach dem Grand Prix gepoltert und Konsequenzen gefordert, doch schnell kehrte bei Mercedes Ruhe ein, um den Fauxpas zu analysieren. „Wir arbeiten mit Algorithmen“, erklärte Wolff, „deshalb müssen wir prüfen, wo die Mathematik eine Krux hatte. Wir müssen fragen, warum sich die Daten geirrt haben.“ Eine Erklärung könnte sein, dass Mercedes in der entscheidenden Phase kein GPS-Signal zur Verfügung hatte und so die Distanzen zwischen den Autos falsch eingespeist worden waren. Möglich ist zudem, nachdem Hamilton aufs Safety-Car aufgeschlossen hatte, dass der Brite mehr Zeit verlor, weil Safety-Car-Pilot Bernd Mayländer langsamer fuhr als berechnet. Auf Computer bei der Rennstrategie will Mercedes künftig nicht verzichten. „Wir wiegen Daten gegen Menschenverstand ab“, sagte der Motorsportchef, „aber wir müssen datenorientiert sein – Menschenverstand ist gut und schön, gewinnt auf Dauer aber keine Rennen.“

Die Ursachen für die Monaco-Panne scheinen enttarnt, was Lewis Hamilton kein Trost sein dürfte. „Ich kann nicht ausdrücken, was ich fühle“, sagte der Weltmeister, „deshalb versuche ich es gar nicht. Als ich an die Box fuhr, war ich der Überzeugung, dass dies die anderen auch gemacht hätten. Dieses Rennen liegt mir sehr am Herzen – ich wollte unbedingt gewinnen.“ Der Tiefschlag war daher doppelt schmerzhaft. Der 30-Jährige präsentierte sich direkt nach dem Rennen geknickt, als habe man ihm den WM-Titel 2014 aberkannt – doch er ließ die verbale Keule stecken, auch wenn er seine Emotionen sicher gerne mitgeteilt hätte. „Ich gebe dem Team keine Schuld“, sagte Hamilton, „ich sage stets zum Team und zu meinen Fans: Wir gewinnen und wir verlieren gemeinsam.“

Die Fortsetzung des Kriegs der Sterne fiel in Monaco aus, denn auch Nico Rosberg hielt sich trotz der diebischen Freude über das Los für den Hauptgewinn mit Triumphgehabe zurück. Gebremster Jubel. „Ich weiß, wie ekelhaft der Sport sein kann“, sagte der Wahl-Monegasse, „nach einem so starken Wochenende zu verlieren, das ist natürlich scheiße. Lewis hätte den Sieg verdient gehabt.“ Wenn in Montreal der nächste Grand Prix beginnt, ist Monte Carlo längst abgehakt – dann herrscht bei Mercedes eine neue Situation, die Fahrer haben eine neue Motivation und der Computer womöglich auch schon ein neues Strategie-Programm.