Flüchtlingsfamilie aus Syrien in einem bulgarischen Asylbewerberlager Foto: dpa

Die europäischen Grenzländer lassen Flüchtlinge zunehmend weiterziehen. In Deutschland sind rund 4000 Asylbewerber registriert, für die eigentlich Bulgarien zuständig wäre.

Stuttgart/Berlin/Sofia - Auf seiner Reise von Bulgarien nach Deutschland hätte Jan S. aus Syrien sterben können. Mit einer lebensgefährlichen Kriegsverletzung hat sich der Flüchtling in einem bulgarischen Flüchtlingslager entschieden, ein zweites Mal zu fliehen.

Nach Deutschland. Dieses Mal. So groß war die Angst, wegen seiner Verletzung im Lager oder in einem bulgarischen Krankenhaus zu sterben. „Die Versorgung ist katastrophal“, sagt er. „Wer einen Arzt sehen will, muss finanziell nachhelfen.“ Jan S. ist nicht allein.

Seit 2013 sind immer mehr Flüchtlinge vor allem aus Syrien über Bulgarien nach Deutschland gekommen. Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sind in der Datenbank Eurodac rund 4000 solcher Fälle registriert. Flüchtlingsorganisationen fordern nun, dass diese Menschen nicht mehr abgeschoben werden dürfen.

Europäische Grenzstaaten sind überfordert - und lassen Flüchtlinge weiterziehen

Laut der europäischen Dublin-Verordnung sind eigentlich jene Länder für einen Flüchtling zuständig, in dem er zum ersten Mal den EU-Boden berührt. Weil sie mit dem hohen Flüchtlingsaufkommen überfordert sind, lassen europäische Grenzstaaten aber immer mehr Flüchtlinge weiterziehen – beispielsweise, indem sie erst gar keine Fingerabdrücke von den Betroffenen nehmen.

Wie die Stuttgarter Nachrichten bereits im August exklusiv berichtete, gibt Bulgarien dagegen immer mehr Asylbewerbern einen Aufenthaltsstatus, mit dem sie innerhalb des Schengenraums ohne Visum weiterreisen können.

Nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten ist die Zahl der Flüchtlinge mit diesem Aufenthaltstitel zwischen 2013 und 2014 um satte 2720 Prozent auf 5162 Personen gestiegen. Das Land kann sich darauf verlassen, dass die Flüchtlinge ausreisen, sobald sie den Status haben.

In den bulgarischen Lagern wird vor allem ein Ziel genannt: Deutschland. Das Land müssten die Flüchtlinge eigentlich nach drei Monaten wieder verlassen. Doch sie bleiben und stellen erneut einen Asylantrag.

2014 wurden 14 Flüchtlinge nach Bulgarien abgeschoben

Im vergangenen Jahr hat Deutschland laut Pro Asyl 4405 Übernahmeersuchen nach Bulgarien gestellt. Tatsächlich abgeschoben worden seien allerdings nur 14 Flüchtlinge – drei von ihnen aus Baden-Württemberg.

Oftmals verhinderten Gerichte die Abschiebung, sagt Matthias Lehnert, Anwalt für Asylrecht, den Stuttgarter Nachrichten. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und die Sozialeinrichtung Diakonie fordern nun, dass Deutschland ähnlich wie bei Griechenland von Rücküberstellungen von Flüchtlingen nach Bulgarien absieht und ihnen einen sicheren Aufenthaltsstatus gewährt.

In einem 51-seitigen Bericht wirft Pro Asyl Bulgarien vor, Flüchtlinge menschenunwürdig zu behandeln. „Flüchtlinge mit erwiesenem Schutzbedarf dürfen nicht in einen EU-Staat abgeschoben werden, wo ihnen Obdachlosigkeit droht und sie keine Existenzgrundlage haben“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. „Europa ist die Region mit den weltweit höchsten menschenrechtlichen Standards im Flüchtlingsschutz. In der Praxis wird Europa diesem Anspruch oft nicht gerecht.“

Für Behörden steigt der Rechtfertigungsdruck

Flüchtlingsschutz müsse mehr sein als ein Stück Papier, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Auf der Basis von eidesstattlichen Erklärungen von Flüchtlingen dokumentiert der Bericht Misshandlungen von Flüchtlingen wie Fußtritte oder Stockschläge, ein Mangel an medizinischer Versorgung und Abweisungen an der Grenze.

Auf Grundlage des Berichts steige für die deutschen Behörden der Rechtfertigungsdruck, wenn sie Flüchtlinge nach Bulgarien abschieben wollen, so Lehnert. Ein genereller Abschiebestopp sei dagegen nicht geplant, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums den Stuttgarter Nachrichten. Weder die Bundesregierung noch die entsprechenden Gerichte würden flächendeckende systemische Mängel in Bulgarien feststellen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich unterdessen für eine gerechtere Verteilung von Asylbewerbern innerhalb Europas und für EU-weit einheitliche Asylregelungen ausgesprochen. „Dass zehn Länder in der EU überhaupt keine Asylbewerber aufnehmen, ist vollkommen unakzeptabel“, sagte der Minister am Donnerstag in Nürnberg.