Ein Heidelberger Informatiker hatte ein Bewerbungsgespräch mit Google – doch der Travel Ban stoppt seine Karriere.Der Technologiekonzern Google ist neben Apple einer der größten Arbeitgeber für Informatiker in den USA – und stark betroffen von Trumps verhängtem Einreisestopp. Foto: dpa

Reza Ahmad aus Heidelberg ist ein aufstrebender junger Informatiker , einer der besten, sagt sein Doktorvater. Aber der „travel ban“ von Donald Trump hat seine Karriere bei Google und Apple jäh gestoppt.

Heidelberg - Die Mail von Apple kam abends gegen 22 Uhr. Reza Ahmad (Name geändert) hatte darauf gewartet und jeden Abend nach Feierabend zu Hause noch einmal ins Postfach geschaut. „Mails aus den USA kommen immer erst abends wegen der Zeitverschiebung“, sagt der iranische Doktorand eines Heidelberger Forschungsinstituts. Er hat schon oft abends gebangt, wenn er Artikel für wichtige Konferenzen eingereicht hatte. Vielleicht unnötigerweise, denn meistens war es eine Zusage. So auch diesmal: Es war die Zusage des Technologiekonzerns Apple! „Hej, es wird Amerika“, sagte Reza zu seiner Frau, „lass uns planen.“ Sie wollten gemeinsam gehen: der Doktorand der Informatik und die Masterstudentin der Chemie. Auch das Bewerbungsgespräch mit Google war gut gelaufen, zwei Interviews mit dem Chef und dem Teamleiter, auch diese Mail sollte jeden Abend eintreffen. Ein Praktikum bei einem der großen US-amerikanischen Technologiekonzerne ist der erste große Karriereschritt für einen Doktoranden der Informatik. Die wenigsten kommen so weit, wie Reza an diesem Abend gekommen war.

Es war ein Freitagabend, das weiß Reza noch genau. Aber wie er sich gefühlt hatte angesichts dieses Triumphs, das weiß er nicht mehr. Gefühlt ist dieser Abend schon ewig her. Es war der letzte Freitag, bevor US-Präsident Donald Trump die Executive Order 13769 verkündete, die jene Mail unwichtig werden ließ: „travel ban“ oder auch „muslim ban“ – Rezas Facebook-Newsfeed war voll dieser neuen Worte an jenem Dienstag im Januar. Erschrocken las er die Geschichte eines iranischen Freundes, der bereits bei einer Forschungsinstitution in den USA arbeitete und nach einer Dienstreise nicht mehr zu Frau und Kindern nach Hause reisen durfte. Er las viele Berichte befreundeter Forscher bei Apple, Google und in Universitäten, die sich nun nicht mehr trauten auszureisen – aus Angst, nicht wieder zurückzudürfen.

Nach der Absage von Apple kam auch die Mail von Google

Die einen sind gefangen in Amerika, die anderen ausgesperrt. Rezas Traum ist geplatzt. „Und auch seine Karriere“, sagt sein Heidelberger Doktorvater. In der Informatik, vor allem in der maschinellen Sprachverarbeitung, auf die Rezas Forschungsgruppe spezialisiert ist, sind die großen US-Technologiekonzerne inzwischen die angesehensten Forschungsinstitute. „Sie sind besser als jede Uni“, sagt der Professor. Sie haben mehr Mittel und sind in der Forschung am weitesten. „Es wird schwierig für Reza, einen Job in der Industrie zu finden.“ Dabei ist er einer seiner besten Doktoranden.

Die zweite Mail von Apple kam kurz nach Trumps Verkündung. Die Bewerbung sei auf Eis gelegt, schrieben Rezas Ansprechpartner, man müsse erst mal abwarten. Die Absage von Google folgte am nächsten Tag. Seither hat Reza nichts mehr gehört, seit acht Wochen nun, Trump hat inzwischen den zweiten „travel ban“ verhängt, die Lage ist nüchtern betrachtet hoffnungslos. Reza hofft dennoch. Es ist schließlich sein Leben, seine Zukunft. Deshalb will er in diesem Artikel nicht identifizierbar sein, sein Name ist geändert. Eigentlich wollte er nicht mit der Presse sprechen, nur aus einem einzigen Grund tut er es doch: „Ich will zeigen, dass dieser ,travel ban‘ echte Menschen betrifft“, sagt er traurig. Dass er nicht nur abstrakte Politik ist. Dass er nicht nur Träume zerstört, sondern auch den Fortschritt ausbremst.

Die vielversprechende Zukunft löst sich in Luft auf

Reza hat eine Technologie entwickelt, mit der ein Computer die Qualität eines Textes überprüfen kann: ist er flüssig geschrieben, sinnvoll aufgebaut? Ist er verständlich? Wie gut so ein System ist, evaluieren die Forscher, indem sie Menschen bitten, diese Fragen zu beantworten anhand der gleichen Texte, die auch ein Computer überprüft hat. Rezas System ist sich zu 98 Prozent mit den Menschen einig, sein Algorithmus urteilt quasi menschlich. In den USA werden solche Verfahren bereits genutzt, um Prüfungsaufsätze zu bewerten: Der Computer ersetzt den Zweitkorrektor. Nur wenn sich Erstkorrektor und Maschine uneinig sind, wird ein zweiter Mensch hinzugezogen. Rezas System sei besser als alles, was es in der Forschung zuvor dazu gab, sagt sein Doktorvater stolz. 98 Prozent hat noch keiner erreicht: „Er hat den Stand der Technik vorangetrieben.“ Das führende Unternehmen in diesem Bereich sitzt ebenfalls in den USA. Auf einer der letzten großen Konferenzen hat Reza dort gesprochen und hat ein Praktikum vereinbart. „Auch das wird nicht klappen“, sagt sein Heidelberger Professor.

Dass sich seine Zukunft gerade in Luft aufgelöst hat, lässt sich der 30-jährige Doktorand nicht anmerken. Beim Kritik-Meeting diskutiert er an diesem Tag mit einem deutschen Kollegen aus seiner Gruppe, wie ein Computer lernen kann, Personen oder Dinge zu erkennen. „Obama besuchte Paris“, schreibt der deutsche Doktorand an die Tafel. „Obama ist ein Ex-Präsident, ein Tier, eine Insel und eine Stadt in Japan“, sagt er. Wie kann das System wissen, was gemeint ist und wo es nach weiteren Informationen suchen kann? Paris könnte Paris Hilton sein oder auch die Stadt in Frankreich. Er erklärt, wie er es bisher gelöst hat und was dabei nicht funktioniert. Die Forscher diskutieren. „Probier es doch mal so“, sagt Reza schließlich und zeichnet einige Verbindungen zwischen den Begriffen auf der Tafel, einige Fachworte, eine Methode, die er für erfolgversprechender hält. Für seine Kollegen ist es Glück, dass Reza bleibt: Sie profitieren von seiner Erfahrung. „Wer weiß, ob es besser funktioniert“, sagt Reza und lächelt. Er ist einer der erfolgreichsten Doktoranden seiner Gruppe, aber er lässt das niemanden spüren.

Der Ruf leidet, wenn Wissenschaftler nicht mehr in die USA reisen dürfen

Ist er nicht wütend darüber, dass er nicht in die USA reisen darf? Er schüttelt den Kopf. Dass er nicht immer dorthin reisen darf, wo er gebraucht wird – damit hat er sich im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere abgefunden. Ein Visum für die USA hat auch unter Obama zwei bis drei Monate gedauert, und man konnte nie sicher sein, ob es am Ende klappte. Einmal dauerte es zu lange, so dass sein Doktorvater an Rezas Stelle reisen musste. „Diese Konferenzen sind wichtig für junge Forscher, um Kontakte zu knüpfen“, sagt er. Auch darunter wird Rezas Zukunft leiden, wenn er nicht mehr in die USA reisen darf. „Ich bin nicht wütend“, sagt Reza, „ich bin nur traurig, dass ich meiner Community nicht mehr zeigen darf, was ich kann.“

Das Schicksal seines Schützlings schadet auch der Karriere seines Professors. „Meine Gruppe wird danach bewertet, wie erfolgreich jeder Einzelne ist: auf welchen Konferenzen er spricht, für welche Unternehmen er forscht.“ Zudem wird er als Professor danach bewertet, wo seine Doktoranden nach ihrem Abschluss arbeiten. Mehr als die Hälfte seiner Schützlinge hat es in begehrte US-Unternehmen geschafft: Google, IBM oder Microsoft Research. Die andere Hälfte hat Stellen an renommierten Universitäten. Die Absage von Google und Apple könnte Rezas Chancen auf dem universitären Arbeitsmarkt mindern, fürchtet er. „Langfristig könnte das dazu führen, dass deutsche Institute keine iranischen Doktoranden mehr aufnehmen, wenn die Einschränkungen den eigenen Ruf bedrohen. Das wäre fatal.“

Das Institut erwägt, Algorithmen zu entwickeln, die Trumps Lügen entlarven

Der Wissenschaft würde das schaden, davon ist er überzeugt. Er hat mit Kollegen diskutiert, mit welchen Mitteln sich die Forscher gegen die Hindernisse wehren können, die ihnen Trump vor die Füße geworfen hat. Vielleicht mit dem, was sie besonders gut können, mit Algorithmen? Sie könnten die Lügen Trumps automatisch entlarven und auch die der anderen Politiker, die in Europa autoritäre Politik vertreten, das hat die Institutsversammlung überlegt. So wie ein Algorithmus beurteilen kann, wie gut ein Text geschrieben ist, könnte er auch Inhalte beurteilen und die Guten nach vorne bringen, jene für Vielfalt. „Wissenschaft lebt vom interkulturellen Austausch“, sagt der Doktorvater. Eine rein deutsche oder europäische Forschungsgruppe wäre nicht innovativ. Mit Hilfe solcher Algorithmen könnte man auch Menschen wieder erreichen, die mit Politik abgeschlossen haben.

Aber er hat auch Gegenwind bekommen: Er solle endlich damit aufhören, forderten manche Kollegen, es sei nicht seine Aufgabe Politik zu machen, schon gar nicht in der Arbeitszeit, er solle sich auf seine Forschung konzentrieren. Nur wie? Der Wissenschaftler schaut ratlos. „Wir sind ein internationales Forschungsinstitut, wir müssen reagieren.“ Schließlich leidet die Arbeit unter der Situation. Ein Kollege hat einen Aufruf unterzeichnet, Konferenzen in den USA künftig zu boykottieren.

Reza Ahmad gibt nicht auf

Ist ein Boykott das Richtige? Reza schüttelt heftig den Kopf. „Würde ich keine Artikel mehr für Konferenzen in den USA einreichen, würde das niemand bemerken.“ Das Gegenteil sei aber wichtig: Ihn hat das Ganze angestachelt, „ich will zeigen, dass sich Wissenschaft nicht stoppen lässt“. Abends, wenn die Kollegen Feierabend machen, schmiedet er Pläne für die Zukunft. Das Beispiel der iranischen Oscar-Preisträgerin Taraneh Alidoosti hat ihn bewegt, die sich aus Protest gegen den „travel ban“ weigerte, zur Preisverleihung zu kommen: „Was sie mit ihrer Kunst kann, kann ich mit meiner Wissenschaft.“ Für die nächste Konferenz in den USA will er den besten Artikel einreichen. „Wenn ich den Best Paper Award gewinne und nicht einreisen kann – dann merken die Leute, dass etwas nicht stimmt“. Spätestens dann.