Menschen auf der Flucht ein Dach über dem Kopf zu bieten, wird zur Herausforderung – im Bild die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen. Foto: dpa

Mit 800 000 Asylanträgen rechnet der Bund für das laufende Jahr. Unterkünfte für Flüchtlinge im Südwesten werden fieberhaft gesucht.

Stuttgart/Berlin - Deutschland nimmt derzeit 40 Prozent aller Flüchtlinge in der EU auf – das sei laut Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) auf Dauer zu viel. Die Bundesregierung rechnet im laufenden Jahr mit insgesamt 800 000 Asylanträgen. Für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge sind nach Schätzungen des Deutschen Landkreistages in diesem Jahr Ausgaben von etwa acht Milliarden Euro zu erwarten. Zum Vergleich: Rund 280 Milliarden Euro wird der Bund dieses Jahr an Steuern einnehmen – so die Schätzung des Bundesfinanzministeriums. In diesem Jahr müsse und werde Deutschland die hohe Zahl der Flüchtlinge verkraften, sagte de Maizière am Donnerstag. Auf Dauer müssten sich aber andere EU-Staaten stärker in der Flüchtlingspolitik engagieren und sich an die Vorgaben des europäischen Asylsystems halten. Das sei derzeit nicht der Fall.

Kommunen fordern mehr Geld vom Bund

An den Kosten beteiligt sich der Bund nach bisherigem Stand mit einer Milliarde. Die Kommunen fordern mehr Unterstützung – der Deutsche Landkreistag verlangte eine „dauerhafte Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen.“

Unterkünfte für Flüchtlinge werden im Südwesten angesichts steigender Zahlen fieberhaft gesucht. Im nordbadischen Sinsheim beziehen an diesem Freitag rund 250 Menschen eine neue Notunterkunft auf dem Messegelände, weitere werden am Samstag folgen, so das Regierungspräsidium Karlsruhe.

Auch die Kirchen stellen Unterkünfte zur Verfügung. Die Evangelische Landeskirche Württemberg, beziehungsweise die Diakonie, hat derzeit rund 800 Flüchtlinge in Pfarrhäusern, Wohnungen oder Tagungsstätten untergebracht. „Wir sind permanent auf der Suche“, berichtet Dan Peter. Auch in den Gottesdiensten gebe es Aufrufe. „Wir gewinnen täglich neue Plätze.“

Ganz so einfach sei es freilich nicht, geeignete Unterkünfte zu finden. Menschen in einer Kirche unterzubringen sei zum Beispiel kaum möglich. „Sie brauchen eine Küche und sanitäre Anlagen“, sagt der Referatsleiter. „Wir versuchen trotzdem alles, Raum zur Verfügung zu stellen.“

Benediktinerkloster Weingarten nimmt Flüchtlinge auf

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat das Benediktinerkloster Weingarten für die Flüchtlingsaufnahme geöffnet. Das Konventsgebäude fungiert befristet als bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (Bea). Schon seit April 2014 leben rund 40 Flüchtlinge im sogenannten Lazarettbau des Klosters in der Erstunterbringung. „Insgesamt werden in rund 25 Immobilien in kirchlichem Besitz derzeit etwa 1300 Flüchtlinge von diözesanen Trägern betreut, darunter drei Gruppen jesidischer Frauen“, erklärt Pressesprecher Uwe Renz.

In Stuttgart scheinen auch Appelle an Privatleute zu fruchten: „Uns erreichen pro Tag etwa zwei bis drei Wohnungsangebote von privater Seite“, sagt Günter Gerstenberger vom Sozialamt. Genaue Statistiken gebe es nicht. „Wir schauen uns alles an“, sagt Gerstenberger. Bestimmte Standards müssten aber eingehalten werden – zum Beispiel müssen alle Räume beheizbar sein.

In Stuttgart bieten viele Privatleute Immobilien an

Bereits Mitte Januar ging ein Aufruf von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) an rund 160 000 Grundstücks- und Immobilienbesitzer, nicht genutzten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Die Resonanz war gut. Das ist sehr löblich“, sagt Gerstenberger.

Zu drastischen Mitteln hatte vor einigen Tagen Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) gegriffen: Die Stadt könne leer stehenden Wohnraum zur Not beschlagnahmen, hatte er einzelnen Hausbesitzern angedroht, die ihre Häuser laut Palmer zum Teil seit Jahren leer stehen ließen. Seitdem haben Privatleute in Tübingen knapp 20 Wohnobjekte angeboten. Wie viele Menschen dort untergebracht werden können, ist noch unklar.