Jürgen Karl und Martin Horn (von links) starten mit einem Sprinter voll mit Hilfsgütern für die Flüchtlinge auf Samos. Foto: factum/Bach

Täglich stranden mehr als 1000 Vertriebene auf der griechischen Insel. Der Bürgermeister ruft um Hilfe. Die Sindelfinger Räte und Daimler reagieren und schicken innerhalb weniger Wochen einen Transporter mit Hilfsgütern nach Griechenland.

Sindelfingen - Vier Tage sind Martin Horn und Jürgen Karl unterwegs. Am Donnerstagnachmittag sind die beiden jungen Männer am Sindelfinger Rathaus mit einem Transporter voll mit Hilfsgütern gestartet. Ihr Ziel: die griechische Insel Samos unmittelbar vor der türkischen Küste. Dort stranden noch immer täglich Hunderte Flüchtlinge, die die Fahrt über das Meer in kleinen überfüllten Schlauchbooten wagen. „Die Situation auf Samos ist dramatisch“, sagt Martin Horn, der Leiter des Internationalen Büros in Sindelfingen.

Kürzlich ist Horn schon einmal auf der Insel gewesen. „Jeden Tag ertrinken Menschen bei der gefährlichen Überfahrt, darunter viele Kinder.“ Allein am ersten Tag seines Aufenthalts hätten elf Menschen die Fahrt nicht überlebt. Das Flüchtlingslager in einem ehemaligen Gefängnis auf der Insel sei überfüllt. „Platz für 240 Menschen gibt es, 1200 leben dort“, schildert Horn die Verhältnisse. Hinzu käme eine wildes Lager direkt am Hafen mit weiteren Tausenden Menschen. Noch nicht einmal genug Essen hätten die Verantwortlichen auf Samos für die erschöpften Menschen.

Ein Hilferuf von Michalis Angelopoulos war der Anlass für Horns Besuch auf Samos gewesen. Der Bürgermeister der Insel mit 31 000 Einwohnern hatte Ende Oktober beim Kongress der Regionen und Gemeinden Europas in Straßburg um Unterstützung gefleht. Vollkommen überfordert sei die kleine Insel mit den vielen Flüchtlingen, sagte Angelopoulos. Die Kommune, die wegen der griechischen Finanzkrise selbst am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds steht, kann den Angestellten der Stadt im Moment noch nicht einmal Löhne zahlen. Trotzdem arbeiteten die Beschäftigten sowie einige Freiwillige bis zum Umfallen, um die Gestrandeten zu versorgen, sagte Michalis Angelopoulos. Er bat auch im Namen anderer griechischer und italienischer Kommunen um Unterstützung bei den europäischen Kommunen.

Hilfsgüter für 18 000 Euro

Der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer, Chef der deutschen Delegation im Kongress, vernahm den Hilferuf: „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das nicht funktioniert innerhalb Europas und angesichts der vielen internationalen Hilfsorganisationen.“ Deshalb schickte er Horn nach Samos, der sich ein Bild von der Situation dort verschaffen sollte. Fünf Tage blieb der Leiter des Internationalen Büros.

Nach seiner Rückkehr berichtete er dem Gemeinderat von seinen Eindrücken, und dieser stellte 18 000 Euro für Soforthilfe zur Verfügung. „5000 Euro haben wir sofort für Lebensmittel überwiesen“, sagt Horn. Mit dem anderen Geld kaufte er Zelte, Decken, Regenponchos, Verbandsmaterial, Zahnbürsten, Shampoo und Bioplastikgeschirr. Diese dringend benötigten Hilfsgüter fährt er nun mit Jürgen Karl aus Freiburg, der bereits Erfahrung als Entwicklungshelfer hat, nach Samos. Den Transporter, ein Sprinter, hat das Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk gestiftet – Wert 25 000 Euro. „Den Transporter lassen wir dort“, sagt Horn. „Den kann die Stadtverwaltung für ihre Arbeit nutzen.“

Firmen und Organisationen helfen mit

Auch andere Firmen und Organisationen in Sindelfingen unterstützten die Aktion: die Feuerwehr, das Rote Kreuz, der DM-Markt, die WGV-Versicherung. Mitarbeiter der Stadtverwaltung packten in den vergangenen Tagen die Pakete, die nun den Transporter bis unters Dach füllen.

„Die Flüchtlingskrise trifft uns alle. Auch wir stehen vor großen Herausforderungen“, sagte der Oberbürgermeister Bernd Vöhringer, als er am Donnerstag mit vielen Rathausmitarbeitern und Stadträten die Helfer Horn und Karl verabschiedete: „Aber die Herausforderungen auf Samos sind unendlich größer als unsere.“

„In Sindelfingen haben wir Ende des Jahres 1000 Flüchtlinge. In Samos kommen jeden Tag bis zu 1500 an. Da ist europäische Solidarität gefordert“, sagte Vöhringer. Sindelfingen leiste seinen Beitrag.

International vernetzt

Zufluchtsort
Samos ist die achtgrößte griechische Insel und hat 31 000 Einwohner – halb so viele wie Sindelfingen. Sie liegt nur 1,7 Kilometer vom türkischen Festland entfernt und ist deshalb ein bevorzugtes Ziel für Flüchtlinge, die nach Europa wollen. Diese kommen zumeist mit völlig überladenen Schlauchbooten an. Die Überfahrten sind sehr gefährlich. Täglich ertrinken dabei Menschen.

Zusammenarbeit
Der Kongress der Gemeinden und Regionen (KGRE) ist eine Institution des Europarates. Seine 636 Mitglieder (Kommunalpolitiker, Bürgermeister, regionale Mandatsträger) vertreten 200 000 Städte, Kreise, Bezirke und Regionen aus 47 Staaten. Den deutschen Kommunen und Bundesländern stehen 18 Sitze zur Verfügung für ordentliche Mitglieder und eine gleich große Anzahl von Sitzen für Stellvertreter. Der Leiter der deutschen Delegation ist der Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer, der der griechischen Delegation sein Kollege von der Insel Samos, Michalis Angelopoulos. Sindelfingen ist auch noch Mitglied der Eurotowns, einem Zusammenschluss mittelgroßer Städte in Europa.