Flüchtlinge kommen am Montag auf der Insel Lesbos an. Foto: AP

Auf Lesbos werden Migranten, die erst nach Inkrafttreten des Flüchtlingspakts auf der Insel angekommen sind, offensichtlich systematisch von anderen Flüchtlingen getrennt. Niemand weiß, wie es weitergeht

Lesbos - Vom Gefängnis über den „Hotspot“ erneut zum Gefängnis: Am Montagmittag schlossen sich überraschend die Tore des Auffanglagers „Moria“ auf Lesbos. In dieser ehemaligen Haftanstalt der Insel sollen künftig offensichtlich nur noch jene Migranten untergebracht werden, die seit dem Inkrafttreten des EU-Flüchtlingspakts am Sonntag angekommen sind. Qualifizieren sie sich nicht durch das geplante Asyl-Schnellverfahren, werden sie zurück in die Türkei geschickt. Und sie dürfen, anders als die Menschen bisher, das Lager nicht mehr verlassen.

Rund 450 Migranten, die von den neuen Regeln betroffen sind, halten sich bereits hinter den meterhohen, mit Stacheldraht bewehrten Zäunen auf. Das zumindest vermuten und errechnen freiwillige Helfer, Einwohner und Journalisten, denn auf Lesbos ist am Tag zwei des Flüchtlingspakts gar nichts mehr sicher. Selbst die jungen Polizisten, die rauchend vor dem Eingang des Lagers stehen, zucken nur ratlos mit den Schultern. Die stählerne Gittertür von Moria jedenfalls bleibt geschlossen; auf der Straße davor machen im Minutentakt neue Nachrichten, Gerüchte und Spekulationen die Runde.

Pakistanische Migranten kaum Aussicht auf Asyl

Beispielsweise diese Information: Dass die Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) den zum Gefängnis umfunktionierten „Hotspot“ auf keinen Fall akzeptieren werden und deshalb sogar erwägen, sich ganz von der Insel zurückzuziehen. Allein, ein offizielles Statement des Flüchtlingshilfswerks gibt es nicht, lediglich Aussagen von UNHCR-Vertretern unter der Hand - man werde das Engagement auf Lesbos angesichts dieser Entwicklung prüfen, heißt es.

Während vor dem Tor von Moria darüber noch gerätselt wird, taucht plötzlich eine Gruppe pakistanischer Migranten und Flüchtlingshelfer auf. Man umarmt sich, weint, gibt sich die Hand - dann öffnet ein Polizist die Stahltür und die Migranten verschwinden im Lager. „Sie sind freiwillig hierhergekommen, denn heute Abend soll im Zuge des Flüchtlingspakts ein weiteres Lager hier in der Nähe geräumt werden - dann würde sie ohnehin hierhergebracht“, erklärt eine der Helferinnen. Die pakistanischen Migranten haben kaum Aussicht auf Asyl, werden also wohl ebenfalls in die Türkei zurückgeschickt.

Und was ist mit den anderen Lagern? Beispielsweise mit dem „Camp Pikpa“ in der Nähe des Inselflughafens? Dort finden seit dem vergangenen Jahr „besonders schutzbedürftige“ Migranten Zuflucht, darunter schwer traumatisierte und verletzte Menschen. „Pikpa wird nicht geräumt!“, melden die Betreiber erleichtert über Facebook. Zwar habe die umgehende Räumung bereits am Sonntagabend zur Debatte gestanden, aber aus Rücksicht auf die besondere Situation der Bewohner sei von den Behörden zunächst davon abgesehen worden.

Dafür werden die Migranten aus allen anderen Lagern der Insel nun in Windeseile aufs Festland gebracht. 2500 Menschen sollen Lesbos seit Samstag verlassen haben, sagt eine Mitarbeiterin des griechischen Roten Kreuzes. Werden diese Migranten denn dann auch in die Türkei zurückgeschickt? Oder wo werden sie hingebracht? Die Frau zuckt mit den Schultern - sie weiß es nicht.

Freiwillige Helfer warten an den Stränden

Außerhalb der Lager sind auf der Insel plötzlich kaum noch Flüchtlinge zu entdecken, nicht einmal im Hafen der Hauptstadt Mytilini. Und auch Neuankömmlinge gab es am Montag offenbar kaum. Wie jede Nacht warteten an den Stränden entlang der Ostküste freiwillige Helfer, um Flüchtlingsboote sicher an Land zu lotsen. In den Morgenstunden des Montags jedoch hielten sich die meisten vergebens bereit. Von einem einzigen Schlauchboot ist die Rede; auch internationale Seenotrettungsschiffe wie die „Minden“ der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) sowie ein Boot der griechischen Küstenwache kamen morgens ohne Migranten an Bord in den Hafen zurück.

Trend oder Zufall? Auch darüber kann auf Lesbos im Moment nur spekuliert werden. Wirkt der Flüchtlingspakt abschreckend? Kontrolliert die Türkei endlich ihre Küsten besser? Werden die Menschen auf der anderen Seite der Meerenge aufgehalten? Wird den Schleppern das Handwerk gelegt? Oder stimmt nichts davon und der Flüchtlingszustrom nimmt bald wieder an Fahrt auf? Inselbewohner, Helfer, Journalisten, Polizisten - alle sind sie vereint im ratlosen Schulterzucken.