Mitarbeiterinnen eines landwirtschaftlichen Projekts von Sabab Lou in Gambia. Sein Chef, der baden-württembergische Unternehmer Friedrich ­Keller-Bauer, will erreichen, dass weniger Menschen wegen Armut aus ihren Heimatländern flüchten Foto: Sabab Lou

Die Politiker der Europäischen Union wollen, dass weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ein ehemaliger Firmenchef kritisiert, dass sie sich eine Frage zu selten stellen: Warum fliehen Menschen? Er will mit seinen Projekten erreichen, dass sich die Menschen erst gar nicht in marode Boote setzen.

Stuttgart/Chamen - Vielleicht ist es das letzte Foto von Kebbas Freund. Es zeigt den jungen Afrikaner auf einem blauen Fischerboot im Mittelmeer. Die Menschen sitzen Körper an Körper. Die Beine baumeln über die Reling. Im Boot ist kein Platz. Kebba zeigt das Foto auf seinem Handy den Bewohnern des Dorfes Chamen in Gambia. Seit der Flucht hat Kebba nichts mehr von dem Freund gehört.

„Fast alle Menschen in den Dörfern haben Handys“, sagt Friedrich Keller-Bauer, Chef der baden-württembergischen Stiftung Sabab Lou. „Sie erfahren es, wenn Schiffe verunglücken, sie wissen es, wenn Hunderte Menschen ertrinken.“ Und trotzdem: Jede Woche machen sich wieder junge Menschen auf in Richtung Europa.

„Das sind Menschen, die nichts mehr haben außer die Hoffnung, dass sie die Flucht überleben und sich eine Chance in Europa bietet“, sagt Keller-Bauer. An dieser Perspektivlosigkeit wollte er etwas ändern, als er 2009 Sabab Lou gründete.

In den Dörfern sinkt die Zahl der Flüchtlinge

Sitz der Stiftung ist Grabenstetten (Landkreis Reutlingen). Und die ersten Zahlen zeigen, dass sein Konzept funktionieren könnte: In den afrikanischen Dörfern, in denen er mit seinen landwirtschaftlichen Projekten Arbeit schafft, sinkt die Zahl derer, die fliehen.

„Wir glauben, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem afrikanischen Kontinent in der deutsch-afrikanischen Kooperation Priorität hat“, sagt Stefan Liebing, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. „Wenn die Stiftung Sabab Lou Projekte fördert, mit denen die Menschen sich selbst in Arbeit bringen, trägt das dazu bei.“

Keller-Bauer kritisiert, dass viele Politiker sich nach den vielen Bootsunglücken panisch fragen, was sie tun können, damit weniger Flüchtlinge im Meer sterben. „Sie stecken mehr Geld in die Rettung, schicken mehr Boote – aber sie fragen viel zu selten: Warum fliehen die Menschen eigentlich?“

Viele fliehen vor der Armut – doch das gilt in Europa nicht als Asylgrund

Nach Angaben der Vereinten Nationen leben von weltweit 805 Millionen hungernden Menschen 226,7 Millionen in Afrika. Der Kontinent hat mit 20,5 Prozent der Bevölkerung die höchste Rate an unterernährten Menschen. Laut der Flüchtlingsorganisation UNHCR sind im vergangenen Jahr über vier Millionen Menschen aus Subsahara-Afrika geflohen. So heißt der Teil des afrikanischen Kontinents, der südlich der Sahara liegt.

Sie nehmen die gefährliche Route über das Mittelmeer nach Italien. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist die Zahl der Toten im Mittelmeer seit Jahresbeginn auf mehr als 1750 gestiegen.

Viele Afrikaner fliehen vor der Armut – doch das gilt in Europa nicht als Asylgrund. „Uns ist wichtig, die Menschen nicht von uns abhängig zu machen, sondern ihnen die Leitung der Projekte im Laufe der Zeit selbst zu übertragen“, sagt Keller-Bauer. Er kritisiert an der europäischen Entwicklungspolitik, dass sie zu sehr aufs reine Geldgeben beschränkt sei. Zu selten werde die Nachhaltigkeit von öffentlich geförderten Projekten infrage gestellt.

Sabab Lou finanziert sich durch Spenden – und ohne öffentliche Unterstützung. Als ehemaliger Firmenchef und Unternehmensberater bilanziert Keller-Bauer seine Projekte wie ein Buchhalter. Demnach hat seine Stiftung vergangenes Jahr 91 578,61 Euro an Spendengeldern eingenommen.

Zwei landwirtschaftliche Projekte und ein Mikrokreditprogramm

Momentan unterstützt Sabab Lou zwei landwirtschaftliche Projekte und ein Mikrokreditprogramm. Beim Anoshe-Women-Projekt im Nordosten Ghanas fördert die Stiftung 450 Frauen bei der Anpflanzung von Feldfrüchten auf einer Fläche von insgesamt 180 Hektar. Im vergangenen Jahr haben die Beschäftigten die Ernteerträge im Vergleich zum Vorjahr um fast 140 Prozent auf 39 800 Euro gesteigert.

Für uns seien das verschwindend geringe Beträge, sagt Keller-Bauer. „Die Frauen vor Ort schaffen es dadurch allerdings, über die Armutsgrenze von 1,25 Dollar (1,15 Euro) zu kommen.“ Aber nicht nur die Frauen selbst profitieren von dem Projekt, sondern auch ihre Familien. Die Zahl der Einwohner in den beteiligten Dörfern liegt bei 7150.

„Solche Projekte sind sinnvoll“, sagt Volker Seitz, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik in Kamerun. „Es ist eine Frage der Selbstachtung, dass die Menschen nicht von der Industrie der weißen Retter abhängig sind, sondern von ihrer eigenen Hände Arbeit leben.“ Die Gelder der Entwicklungshilfe kämen zu oft nur den afrikanischen Regierungen zugute.

Sabab Lou will die Projekte ausbauen

Auch das Baddibu-Projekt in Gambia unterstützt rund 400 Frauen bei dem Anbau und der Vermarktung von Gemüse. Die Mitarbeiter bearbeiten vier Gärten mit einer Gesamtfläche von elf Hektar. Keller-Bauer beobachtet bei beiden Projekten, dass die Zahl jener, die sich in Richtung Europa aufmachen, sinkt. In den Dörfern, die am Ghana-Projekt beteiligt sind, hat sich die sogenannte Abwanderungsrate im Vergleich zu 2013 von 165 Menschen auf 70 reduziert.

Während sich im Gambia-Projekt 2013 über 70 Menschen auf die Flucht gemacht haben, waren es im vergangenen Jahr nur noch sieben. Das zeigt, dass nicht nur die Mitarbeiter von den Projekten profitieren, sondern auch deren Familien. Es fliehen nämlich in der Regel die Männer. In den Betrieben jedoch arbeiten überwiegend Frauen.

„Dieser Aderlass ist in diesen Teilen Afrikas höchst problematisch“, sagt Keller-Bauer. Darum will Sabab Lou die Projekte in diesem Jahr ausbauen – und damit vor allem Jugendliche ansprechen, um sie zu halten.

Als Vorbild dient ein bereits etabliertes Mikrokreditprogramm der Stiftung: In der Stadt Offinso in Ghana vergibt die Sabab Lou jährlich Darlehen an mehrere Hundert Frauen, damit sie einen kleinen Geschäftsbetrieb aufbauen können. Bisher verzeichnet Keller-Bauer gerade mal einen Zahlungsausfall. Der Grund: Tod durch Aids.