Ziemlich beste Freunde: Jeong-Min, Uyi und Baraa (von links) mit den anderen Kindern aus ihrer Waldheim-Gruppe Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Unter den 400 Degerlocher Waldheimkindern sind in diesem Sommer auch neun Flüchtlinge aus Plieningen. Die Kinder machen jedoch keinen Unterschied – für sie zählt nur der Spaß.

Stuttgart - Im Moment gibt es nichts Wichtigeres, als die Rätsel zu lösen. 24 Jungs rennen kreuz und quer durch das Degerlocher Waldheimgelände, um die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen ihre Betreuer gestellt haben. Da kommt die Unterbrechung durch den Fotografen äußerst ungelegen. „Die Flüchtlinge sollen aufs Foto“, ruft einer aus der Gruppe und schiebt Uyi, der aus Nigeria stammt, nach vorne.

„Bis vor kurzem konnten die Jungs mit dem Begriff Flüchtling noch gar nichts anfangen“, sagt Waldheim-Betreuer Dennis Hellbach. Erst durch das Medieninteresse hätten die Kinder begriffen, dass neun von ihnen „etwas Besonderes“ sind. Einen Unterschied machen die Neun- und Zehnjährigen trotzdem nicht. „Wir sind alle beste Freunde“, sagt Baraa voller Stolz und bekommt sofort Bestätigung aus der Gruppe. Seit einer knappen Woche erst kennt der Junge aus Syrien die anderen Waldheim-Kinder. Dass er beim großen Tischtennisturnier ins Finale kam, spielt für seine neuen Freunde eine große Rolle. Vollkommen egal ist ihnen dagegen, dass Baraa in der Flüchtlingsunterkunft Im Wolfer in Plieningen wohnt.

Neun Flüchtlingskinder kommen aus der Unterkunft in Plieningen

Von dort kommen alle neun Flüchtlingskinder, die die zweite Ferienfreizeit im Degerlocher Waldheimbesuchen. „Als Kircheneinrichtung ist es für uns selbstverständlich, Menschen in Not zu helfen“, sagt Diakon Jürgen Möck, Leiter des Evangelischen Waldheims. Auch die meisten anderen Stuttgarter Waldheime haben in diesem Sommer Flüchtlingskinder aufgenommen. Die Degerlocher Freizeiteinrichtung hat jedoch schon Erfahrung mit diesem Thema. In den 1990er Jahren kamen bereits Kinder aus dem Asylbewerberheim an der Hohen Eiche in Degerloch in die Freizeiteinrichtung. Probleme habe es deswegen damals nie gegeben, sagt Möck.

Und auch dieses Mal fallen die Flüchtlingskinder unter den rund 400 Kindern, die jedes Jahr ihre Ferien auf dem Waldheimgelände verbringen, kaum auf. Ebenso wenig wie die zwei Kinder mit Downsyndrom, die auch ganz selbstverständlich in alle Spiele miteinbezogen werden. In der Gruppe von Uyi und Baraa sind noch zwei weitere Kinder aus dem Asylbewerberheim: Jeong-Min aus Nordkorea und Muhamet aus dem Kosovo. „Es ist aber nicht so, dass sich die vier als Flüchtlingsgruppe begreifen. Sie haben mit den anderen Kindern genauso viel zu tun“, sagt Betreuer Dennis Hellbach. Am ersten Tag sei es mit den vieren noch schwieriger gewesen, weil sie die Regeln des Waldheims nicht kannten.

Über die Vergangenheit der Kinder wissen die Betreuer nur wenig

„Dass es nach dem Mittagessen eine Mittagsruhe gibt, haben sie erst noch nicht verstanden und weiter getobt“, sagt Hellbach. Doch bereits am zweiten Tag hatten sie die Regeln verinnerlicht. Sprachschwierigkeiten gibt es in dieser Gruppe keine, denn die vier Jungs können schon gut Deutsch sprechen. „Sie sind nur manchmal schwer zu stoppen, weil sie noch begeisterter, tüchtiger und voller Tatendrang sind, als die anderen Kinder“, sagt Hellbach mit einem Lachen. Über die Schicksale und die Vergangenheit der Kinder wissen die Betreuer nur wenig. Für sie ist es wichtiger, dass die Kinder in den zwei Wochen gemeinsam jede Menge Spaß haben.

In anderen Gruppen ist die Betreuung der Flüchtlinge ein bisschen komplizierter. Der neunjährige Erdal aus Mazedonien zum Beispiel konnte zu Beginn der Freizeit gar kein Deutsch. Inzwischen hat er aber aus eigenem Antrieb zusammen mit den Betreuern Zahlen und ein paar deutsche Wörter gelernt. Außerdem schaut er sich viel bei den anderen Kindern ab. Das führt jedoch mitunter auch zu lustigen Verwechslungen: „Am ersten Tag hat er die Glocke geläutet, weil er gesehen hat, dass das ein anderes Kind auch mal gemacht hat“, erzählt Waldheimleiter Möck. Was der Junge nicht wusste: Wenn die Glocke läutet, setzen sich 400 Kinder in Bewegung, um sich auf dem Vorhof zu versammeln, zum Beispiel wenn es Essen gibt.

Jürgen Möck hofft, dass es bei solch lustigen Zwischenfällen bleibt und sie auch weiterhin nicht die Nummer der Sozialarbeiterin wählen müssen, die für den Notfall bereit liegt. Er rechnet damit, dass in Zukunft eine weitaus größere Zahl von Flüchtlingskindern an der Ferienfreizeit teilnehmen wird. Im Waldheim sind sie willkommen.