Maiwand aus Afghanistan will den Hauptschulabschluss machen Foto: Jan Reich

Flüchtlingskinder haben mit großen Problemen zu kämpfen. Sie müssen schnell Deutsch lernen und leben in Angst, wieder ausgewiesen zu werden.

Stuttgart - Wünsche hat jeder. Doch Nergjüzels Wunsch klingt zunächst seltsam. „Hier bleiben zu dürfen, das ist unser größter Wunsch, ich möchte nicht zurück“, sagt die 14-Jährige. Sie ist vor eineinhalb Jahren mit ihrer Familie aus Mazedonien gekommen. Ob sie dahin wieder zurück muss, entscheidet Ende März die zuständige Ausländerbehörde. Man merkt Nergjüzel an, wie sie dieser Tag der Entscheidung beschäftigt.

Als sie hier ankam, sprach sie kein Wort Deutsch. Ein Problem vor allem beim Schulbesuch. Nach zwei Monaten in Vorbereitungsklassen kam sie in eine Regelklasse. Jetzt geht sie in die achte Klasse der Steinenbergschule in Hedelfingen. Sie hat zwei Freundinnen gefunden, mit denen sie oft unterwegs ist. Sie helfen ihr auch in Deutsch, wenn sie Probleme hat. Dafür hilft sie ihnen bei Mathe. „Das ist mein Lieblingsfach“, sagt sie stolz, „das kann ich gut.“ Doch die Ungewissheit über die Zukunft lastet schwer auf ihrem Alltag. Bis zur Entscheidung lebt die Familie in Sillenbuch in einer Asylbewerberunterkunft. Diese bietet in zehn Wohnungen Platz für 75 Menschen.

Die Organisation und Leitung der Flüchtlingsunterkünfte vergibt die Stadt an soziale Träger. Die Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt (AGDW) hat die Hausleitung an der Sillenbucher Schemppstraße übernommen. Als die Einrichtung Anfang der 90er-Jahre geöffnet wurde, „gab es zunächst Vorbehalte und Ängste in der Nachbarschaft, doch das hat sich schnell gelegt“, sagt Jama Maqsudi, der stellvertretende Geschäftsführer des Vereins. Die AGDW betreut die dort untergebrachten Flüchtlinge und berät sie beispielsweise bei Behördengängen. Zudem übernimmt sie die Vormundschaft für minderjährige Flüchtlinge, die ohne Familie oder andere Angehörige hier leben.

Laut Sozialamt leben zurzeit rund 1500 Asylbewerber in den verschiedenen Unterkünften in Stuttgart. Davon ist knapp ein Drittel minderjährig und deshalb auch schulpflichtig. Seit der Änderung des baden-württembergischen Schulgesetzes im Jahr 2008 haben Kinder von Asylbewerbern die Pflicht, in die Schule zu gehen. Für viele ist sie aber eher ein Recht – sie konnten oder durften in den Herkunftsländern nicht regelmäßig zur Schule gehen.

Nur die Gesetzesänderung allein löst allerdings keine Probleme. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen gilt es, viele Hürden zu überwinden. Deutsch ist die Sprache in der Schule und darum auch die Grundlage für den schulischen Erfolg. Wer aber erst seit Kurzem im Land ist, hat ein Problem.

An den allgemeinbildenden Schulen werden deshalb Sprachfördermaßnahmen angeboten, etwa zusätzlicher Förderunterricht, vor allem im Fach Deutsch. Reicht das nicht aus, weil die Kinder noch nie eine Schule besucht haben oder gar das lateinische Alphabet erst lernen müssen, werden sie in eigens gebildeten Klassen, in sogenannten Vorbereitungsklassen, unterrichtet. Vor der Aufnahme werden die Sprachkenntnisse getestet und während der ganzen Zeit dokumentiert, um den besten Zeitpunkt zu finden, an dem eine Integration in die Regelklasse sinnvoll ist.

In diesem Schuljahr gibt es in Stuttgart 51 Vorbereitungsklassen mit rund 650 Schülern – Tendenz steigend, weil auch die Zahl der Asylbewerber wächst.

Die 20 Mitarbeiter der AGDW und zahlreiche Ehrenamtliche helfen den Schülern. Unter ihnen ist auch Melanie Mödinger. Sie wohnt in der Nachbarschaft der Asylunterkunft in Sillenbuch und erfuhr auf einem Spielplatz davon, dass viele Kinder dort Probleme bei den Hausaufgaben haben. Seit sieben Jahren unterstützt sie deshalb die Kinder aus der Schemppstraße.

So wie die 14-jährige Elham, die mit ihrer Familie von Afghanistan zunächst in den Iran flüchtete, bis sie dann im April 2012 nach Deutschland gekommen ist. „Wir durften im Iran nicht in die Schule gehen“, erzählt Elham, die nach ihrer Ankunft zunächst eine Vorbereitungsklasse besuchte. Nach kurzer Zeit wechselte sie in die Hauptschule, von der sie es jetzt bis in die Realschule geschafft hat. „Seit einem halben Jahr spricht sie richtig gut Deutsch“, freut sich Melanie Mödinger.

Trotzdem tut sich Elham im Deutschunterricht schwer. Lehrer und Mitschüler versuchen zu helfen. Noten müssen die Lehrer trotzdem geben, da gibt es keine Ausnahmen. Auch für die Schulen ist die Integration von Jugendlichen wie Elham keine leichte Aufgabe. Viele scheinen mit der Aufgabe überfordert zu sein. Man darf solche Schüler nicht ausgrenzen, kann aber die anderen auch nicht vernachlässigen. Angesichts der starken Zunahme der Asylbewerberzahlen ein Problem – zumal die Schule für Kinder von Asylbewerbern oft die einzige Gelegenheit ist, richtig Deutsch zu sprechen.

Elhams größter Wunsch ist, die Schule mit einem guten Abschluss zu beenden, denn sie möchte später einmal Zahnärztin werden. „Hier ist alles besser“, sagt die 14-Jährige. Das Einzige, was sie aus dem Iran vermisst, ist ihre Freundin, mit der sie nur telefonieren oder schreiben kann. Aber auch hier hat sie viele neue Freunde gefunden, mit denen sie gerne in die Stadt zum Bummeln geht.

Das macht auch Maiwand gerne. „Und nach Mädels schauen“, fügt der 18-Jährige scherzend hinzu. Vor drei Jahren sind seine Familie und er aus Afghanistan geflüchtet. In Stuttgart hat Maiwand zunächst eine Vorbereitungsklasse besucht. Inzwischen geht er dreimal die Woche in die Robert-Mayer-Schule, eine Berufsschule in der Innenstadt. Doch weil ihm noch sein Hauptschulabschluss fehlt, besucht er an den anderen beiden Tagen die Friedensschule im Stuttgarter Westen. Danach möchte er den Werkrealschulabschluss machen, denn sein Ziel ist es, einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechaniker zu bekommen.

Als er vor drei Jahren mit seiner Familie vor dem Krieg in Afghanistan floh, sprach auch er kein Wort Deutsch. „Aber viele Freunde helfen mir, auch die Lehrer sind sehr nett“, erzählt Maiwand. Neben Schule und Berufsschule besucht er seit vier Monaten auch noch einen Deutschkurs. Oft nimmt er dann auch noch wie Elham das Nachhilfeangebot der Ehrenamtlichen in Anspruch. Den Ausgleich zum Lernen findet er beim Fußballspielen. Doch trotz aller Schwierigkeiten ist er froh, dass er dem Krieg entkommen konnte. Das gilt auch für viele andere Kinder und Jugendliche.Doch für Nergjüzel ist das Bangen noch nicht vorbei: Ende März steht für sie und ihre Familie der Tag der Entscheidung an.