Jeden Tag versuchen hunderte Flüchtlinge ihr Heil in einer lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer Foto: dpa

Zehntausende Menschen aus Bürgerkriegs- und Hungerländern wollen um jeden Preis nach Europa. Die Gefahr, im Meer umzukommen, schreckt sie nicht ab. Die Flüchtlingspolitik der Europäer steht auf dem Prüfstand.

Brüssel/Tripolis - Im Mittelmeer patrouillieren EU-Grenzschützer und Marine-Einheiten. Warum passieren trotzdem solche schrecklichen Katastrophen?
Bis zum November des vergangenen Jahres lief im Mittelmeer die Aktion „Mare Nostrum“ (unser Meer). Bei dieser Mission war es der italienischen Marine erlaubt, bis an die nordafrikanische Küste zu fahren und bereits dort Schiffe aufzuspüren, zu stoppen und Menschen zu retten. Doch die Last von monatlich neun Millionen Euro wollte und konnte Rom nicht mehr alleine tragen. Deshalb stoppte man die Operation, und die EU übernahm im November mit der Mission „Triton“ die Patrouille auf hoher See.
Aber die scheint ja nicht viel zu bringen?
Das ist leider richtig, liegt aber nicht an den beteiligten Einheiten. Entscheidend ist, dass man bei „Triton“ das Operationsgebiet eingeschränkt hat. Die Marine der Mitgliedstaaten sowie der Grenzschutzagentur Frontex darf seit November wieder nur innerhalb von 30 Seemeilen zur EU-Grenze unterwegs sein. Und das ist zu wenig.
Warum geht die EU nicht entschlossener vor?
Es geht zum einen um den Kampf gegen die kriminellen Schlepper-Organisationen, die bis zu 7500 Euro für die Überfahrt kassieren. Zum anderen gibt es wachsende Zweifel, ob es sich bei den Flüchtlingen, die sich darauf einlassen, tatsächlich um Menschen handelt, die einen Asylanspruch haben. Denn man fragt sich natürlich, ob jemand, der vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat fliehen muss, so viel Geld aufbringen kann, oder ob es sich nicht eher um Wirtschaftsflüchtlinge handelt, die ohnehin keinen Asylanspruch hätten. Dennoch bleiben die EU-Staaten zumindest verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen aus Seenot zu retten. Diese Lasten können die Küstenländer alleine nicht tragen. Für eine Aufstockung der Gemeinschaftsmittel aber gibt es wenig Unterstützung, weil das Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, die vorhandenen Gelder einzusetzen, um die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Nun ist die Rede von Asylzentren. Was soll das bringen?
In den Fluchtländern halten sich zum Teil abenteuerliche Legenden über das paradiesische Leben in Europa. Der Grundgedanke besteht darin, die Menschen vor Ort zu beraten, um denen, die sicher keinen Anspruch auf Asyl in der EU haben, von vornherein klarzumachen, dass es nichts bringt, sich auf kriminelle Schlepperbanden einzulassen. Aber es ist völlig unklar, wer solche „Anlaufstellen“ (es handelt sich nicht um „Lager“) betreiben soll, welche Rechte die dortigen Mitarbeiter hätten und ob sie beispielsweise rechtsgültig Asyl-Genehmigungen ausstellen dürfen.
Müsste man nicht auch die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas besser organisieren?
Bisher gibt es eine rechtliche Grundlage, die man nicht einfach kippen kann. Im Dublin-II-Abkommen ist geregelt, dass das Land für die Betreuung von Asylbewerbern zuständig ist, das sie zuerst erreichen. Damit scheint ein Staat wie Deutschland aus dem Schneider, was natürlich nicht stimmt, da auch viele über den Luftweg kommen. Richtig ist aber, dass lediglich acht der 28 EU-Länder derzeit Flüchtlinge aufnehmen. Und das ist ungerecht. Deshalb prüft die Kommission derzeit, ob die Einführung einer Quote (Verteilschlüssel) zu einer gleichmäßigeren Belastung für alle führen würde. Dabei könnten Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl und weitere Kriterien einfließen.
Kann man nicht mit den Herkunftsländern besser zusammenarbeiten?
Die beste Lösung wäre natürlich, Fluchtursachen zu bekämpfen und somit dafür zu sorgen, dass die Menschen zu Hause bleiben können. Aber wie der syrische Bürgerkrieg zeigt, ist das ein langfristiger politischer Prozess. Derzeit bemühen sich die Außenpolitiker der EU, die nordafrikanischen Staaten zu einer Partnerschaft zu bewegen, damit diese ihre eigenen Küsten besser überwachen und aufgegriffene Flüchtlinge auch wieder zurückschicken. Ob es dazu kommt, ist allerdings völlig offen. Denn in einigen Ländern der Region – zum Beispiel Libyen – gibt es keine stabilen politischen Verhältnisse und damit auch keine verlässlichen Ansprechpartner.
Europas Politik steht also ohne Antworten da?
Zumindest solange sie nicht, wie von zahlreichen Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisationen gefordert, das Problem an der Wurzel packt. Und da wird es gewiss keine schnellen Antworten geben. Denn die Probleme sind komplex: Sie umfassen Kriege, Diktaturen, Staatszerfall, Dürren und Hunger in den Herkunftsländern der Migranten.