Winfried Maier-Revoredo, Gudrun Nitsch und Corinna Foto: Julia Schuster

Drei Ehrenamtler geben in einem Interview Einblicke in ihre Arbeit. Sie erklären, was Flüchtlinge brauchen, und warnen Helfer vor falschen Erwartungen.

Filder - Rund 550 Flüchtlinge sind aktuell in Möhringen und Vaihingen untergebracht. Beschlossen ist die Unterbringung von 1350 Menschen. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Trotzdem stoßen Helfer an ihre Grenzen. Im Interview sprechen Corinna Zepter und Winfried Maier-Revoredo vom Freundeskreis Flüchtlinge Möhringen und Gudrun Nitsch vom Freundeskreis Vaihingen-Rohr Einblicke darüber, was Flüchtlinge brauchen und warnen neue Helfer vor falschen Erwartungen.

Frau Nitsch, ist Ihr Engagement für Flüchtlinge mittlerweile ein Vollzeitjob?
Nitsch: Ja, das hat sich in letzter Zeit so entwickelt. So viel wie momentan war es noch nie. Manchmal erledigt man alles ganz locker, und manchmal denkt man, ‚jetzt hört es aber mal auf‘, wenn nachts oder in der Mittagszeit dauernd Anrufe kommen.
Wie viel Zeit investieren Sie pro Woche in die Flüchtlingsarbeit?
Maier-Revoredo: Wir müssen sehen, dass wir nicht überrollt werden. Es kommen täglich sehr viele Anfragen bei mir an. Teilweise habe ich mehr Zeit mit Koordinationsaufgaben verbracht als mit den Flüchtlingen selbst. Das wurde so viel, dass es neben meinem Beruf als Pfarrer nicht zu bewältigen war. Wir haben das deshalb jetzt auf mehrere Schultern verteilt.
Gehen die Vorstellungen der Ehrenamtlichen und der Flüchtlinge auseinander, wenn es um die Bedürfnisse der Menschen geht?
Nitsch: Ein Iraner sagte einmal zu mir: ‚Toll, was ihr Deutschen alles macht, vor allem könnt ihr super organisieren. Aber wartet doch mal ab, was wir eigentlich brauchen.‘ Manche wollen gar nicht, dass man einen Ausflug für sie organisiert, sondern einfach nur Tee trinken und sich unterhalten. Wichtig ist, sich dafür zu sensibilisieren, was Menschen brauchen und ob sie vielleicht auch einfach mal in Ruhe gelassen werden wollen.
Beide Freundeskreise haben dazu aufgerufen, keine Kleiderspenden mehr abzugeben.
Nitsch: Wir müssen manchmal hart vorgehen und Spenden ablehnen. Die Leute sind der Meinung, die Flüchtlinge bräuchten ihre Spende unbedingt. Dann liegt sie aber beim nächsten Sperrmüll draußen an der Straße. Das sieht dann aus, als lebten die Flüchtlinge in Saus und Braus und wüssten die Hilfe gar nicht zu schätzen.
Maier-Revoredo: Das hat auch mit Lagerkapazitäten zu tun. Auch im Bereich Lebensmittel gab es viele gut gemeinte Initiativen, die wir nicht wollten. Manchmal müssen wir bremsen – wenn wir glauben, dass Flüchtlinge etwas nicht brauchen.
Was brauchen die Menschen wirklich?
Nitsch: Zuwendung und Zeit. Jemanden, der zuhört und auf sie eingeht. Materielle Dinge sind zweitrangig. Wenn wir ihnen zu viele Sachen bringen, vermitteln wir ein falsches Bild vom Leben in Deutschland.
Maier-Revoredo: Manches können wir als Ehrenamtliche nicht leisten. Es kommen viele traumatisierte Flüchtlinge zu uns, vor allem aus Syrien und dem Irak. Diese Menschen brauchen professionelle Hilfe, um auf die Füße kommen.
Wie begegnen ehrenamtliche Helfer Menschen mit solch schlimmen Schicksalen und wie helfen sie solchen, die sich nicht öffnen können oder wollen?
Maier-Revoredo: Die Leute erzählen so viel, wie sie wollen. Wir fragen sie nicht aus. Man merkt teilweise, dass Menschen sich übermäßig erschrecken. Dann wird klar, dass sie etwas mit sich herumtragen, was zunächst nicht offensichtlich war.
Nitsch: Einer Irakerin hat die Teilnahme an einer wöchentlichen Walking-Runde geholfen. Unterwegs, wo man sich nicht immer anschauen muss, begann sie sich langsam zu öffnen.
Nur selten ist klar, wie lange ein Flüchtling an einem Ort bleiben kann. Wie viel persönliche Nähe ist da gut und sinnvoll?
Zepter: Es entstehen Freundschaften zwischen Helfern und Flüchtlingen. Wir haben heute Kommunikationsmöglichkeiten, durch die man auch in Kontakt bleiben kann, wenn jemand wegzieht.
Maier-Revoredo: Zu manchen Flüchtlingen ist der Kontakt sporadisch, mit anderen hat man täglich zu tun. Wichtig ist, ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen. Man sollte vermeiden, ihnen zu sagen, dass sie jederzeit mit allen Problemen zu einem kommen können. Man muss deutlich machen, was die eigene Rolle ist.
Besteht das Risiko, dass Helfer sich zu viel zumuten?
Maier-Revoredo: Ich sage den Menschen immer wieder, dass sie ihre zeitlichen und kräftemäßigen Grenzen beachten müssen. Sie dürfen sich nicht aussaugen lassen. Jeder muss sehen, was Beruf und Familie möglich machen.
Zepter: Das Risiko, dass Menschen sich überschätzen, besteht. Das gibt es aber in vielen anderen Bereichen auch, ob im Beruf oder im Sport. Das Wichtigste ist: Die ehrenamtliche Arbeit macht jeder freiwillig, keiner wird zu etwas gezwungen. Jeder kann jederzeit sagen: ‚Ich will nicht mehr.‘
Haben Helfer, die neu zu Ihnen kommen, die richtigen Erwartungen ?
Nitsch: Man muss aufpassen, dass man nicht mit naiver Gutherzigkeit an das Thema herangeht. Wenn man denkt, die Flüchtlinge seien immer dankbar für alles, was man tut, können Enttäuschungen und Frustrationen entstehen. Da zieht sich dann manch einer wieder zurück. Ich werbe für Realismus. Eine gewisse Nüchternheit ist bei aller Nächstenliebe wichtig.
Wie gelingt es Ihnen, Helfer in den passenden Bereichen einzusetzen?
Zepter: Man fragt sie nach ihren Tätigkeiten in Beruf und Freizeit. Jeder macht das, was er kann. Der eine programmiert die Webseite, der andere gibt Deutschunterricht, ein Dritter baut einen Spielplatz. Und wenn Leute merken, dass eine Tätigkeit doch nicht ihr Ding ist, wechseln sie in eine andere Arbeitsgruppe. Da muss sich jeder finden, wie im normalen Leben auch.
Gibt es aktuell Bereiche, in denen besonders dringend Helfer gebraucht werden?
Maier-Revoredo: Nein. Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Es werden immer mehr. Bei allen Schwierigkeiten ist mir wichtig, auch das zu betonen. Das Thema Flüchtlinge ist massiv in den Medien präsent, mit ganz unterschiedlichen Wirkungen. Es kann bewirken, dass manche das Wort Flüchtlinge nicht mehr hören können oder dass Ängste geschürt wird und Brandsätze geschleudert werden. Bei uns ist es anders: Hier führt es dazu, dass Menschen sich engagieren. Das ist positiv und dafür bin ich sehr dankbar.
Welche persönlichen Eigenschaften schätzen sie an Menschen, die sich einbringen?
Nitsch: Es hilft, wenn jemand viel in der Welt herumgekommen ist und im Bekanntenkreis mit Ausländern Kontakt hat.
Maier-Revoredo: Offenheit, auch für Menschen, die ganz anders sind. Man darf keine Berührungsängste haben und muss auf andere zugehen können. Man muss Geduld aufbringen, wenn mal etwas nicht gleich klappt. Und Sensibilität: Man muss wissen, wann Nachfragen taktvoll sind und wann es zu viel wird. Diese Eigenschaften bringen die Leute in der Regel mit...
Zepter: ...sonst würden sie es nicht machen. Wer nicht in der Lage ist, mit Menschen umzugehen, kommt auch nicht auf die Idee, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. So jemand bleibt in seinem Kämmerchen oder an seinem Stammtisch.
In Sachsen sind kürzlich Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks in einer Flüchtlingsunterkunft angegriffen worden. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche Nachrichten hören?
Nitsch: Ich bin erschüttert, dass solche Vorfälle inzwischen auch in Baden-Württemberg passiert sind. Ich verstehe, dass bei Bürgerversammlungen Emotionen hochgehen, aber dass man Flüchtlinge angreift, hätte ich in Baden-Württemberg niemals erwartet.
Maier-Revoredo: Mich macht so etwas wütend, es bestärkt mich aber auch in meinem Engagement. Ich möchte Flagge zeigen mit dem, was ich hier tue. Das ist meine Art, dem entgegenzutreten.
Was könnte die Politik noch tun, um Sie vor Ort zu entlasten?
Nitsch: Mehr Sozialarbeiter finanzieren! Das wäre mein größter Wunsch.
Zepter: Asylanträge müssen schneller abgewickelt werden. Das ist die wichtigste Aufgabe, die die Politik momentan hat.
Maier-Revoredo: Von der Stadt Stuttgart werden wir gut unterstützt: Wir können die Ehrenamtlichen über die Stadt versichern, das Sprachkursangebot für Flüchtlinge ist groß. Es wird viel getan, aber es dürfte noch mehr sein.
Nitsch: Wichtig ist auch, dass Fluchtursachen bekämpft werden.
Zepter: Das ist aber nicht unsere Aufgabe im Alltag. Dafür wurden andere Menschen gewählt.
Maier-Revoredo: Wir entscheiden nicht, ob Menschen das Recht haben, hier zu sein. Aber solange jemand hier ist, soll er human behandelt werden. Dazu möchten wir einen Beitrag leisten.